Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
gehalten. Der Gedanke, dass das Ende seines Abenteuers, und zwar kein gutes, nun wohl absehbar war, machte ihn merkwürdigerweise trotzig. Er spürte, wie er sich spannte und sprungbereit wurde; er war nicht mehr das schlaffe, wehrlose Opfer.
Während er sich so besann und sich wieder in den Griff bekam, merkte er, dass die Dunkelheit langsam wich. Ein fahles grünliches Licht breitete sich um ihn aus. Zuerst konnte er nicht recht erkennen, an was für einem Ort er sich befand, denn das Licht schien von ihm selbst und von dem Boden neben ihm auszugehen und reichte noch nicht bis zu den Wänden oder zum Dach hinauf. Er wandte den Kopf zur Seite, und in dem kalten Schein sah er Sam, Pippin und Merry neben sich liegen. Sie lagen auf dem Rücken, alle mit totenblassem Gesicht und in weißen Hemden. Um sie her lagen allerlei Wertsachen, möglicherweise aus Gold, das freilich in dem grünen Licht frostig und nicht sonderlich begehrenswert aussah. Auf dem Kopf hatten sie jeder einen Stirnreif, um den Leib eine goldene Kette und an den Fingern etliche Ringe. Schwerter lagen neben ihnen, zu ihren Füßen Schilde. Über ihren drei Hälsen aber lag ein langes nacktes Schwert.
Plötzlich setzte ein Singsang ein, kaltes Gemurmel, steigend und fallend. Die Stimme, maßlos trübsinnig, schien von weither zu kommen, bald dünn wie von hoch oben, bald wie ein leises Stöhnen aus dem Boden. Aus dem formlosen Gerinnsel trauriger, doch abscheulicher Laute waren dann und wann ein paar aneinander gereihte Wörter herauszuhören: finstere, harte und kalte Wörter, herzlos, aber wehleidig. Die Nacht beschimpfte den Morgen, der sie im Stich gelassen hatte, und die Kälte verfluchte die Wärme, nachder es sie hungerte. Frodo wurde es kalt bis ins Mark hinein. Nach einer Weile wurde der Singsang deutlicher, und voll Grauen erkannte Frodo, dass es sich um einen Bannspruch handelte:
Kalt sei Hand, Herz und Gebein,
Kalt der Schlaf unterm Stein:
Nimmer steh vom Bette auf,
Eh’ nicht endet der Sonn’ und des Mondes Lauf,
Die Sterne zersplittern im schwarzen Wind,
Und fallen herab und liegen hier blind,
Bis der dunkle Herrscher hebt seine Hand
Über tote See und verdorrtes Land.
Hinter seinem Kopf hörte er ein knarrendes und scharrendes Geräusch. Sich mit einem Arm aufstützend, blickte er hin und sah nun in dem fahlen Licht, dass sie sich in einer Art Gang befanden, der hinter ihnen um eine Ecke bog. Um die Ecke kam ein langer tastender Arm, der auf seinen Fingern zu laufen schien, zu Sam hin, der ihm am nächsten war, und zu dem Schwertheft, das auf ihm lag.
Zuerst war es Frodo, als hätte ihn die Beschwörung tatsächlich in Stein verwandelt. Dann überkam ihn der heftige Wunsch zu fliehen. Wenn er den Ring aufsteckte, würde ihn der Grabwicht vielleicht übersehen, und er könnte irgendwie einen Ausweg finden. Er stellte sich vor, wie es wäre, durchs Gras zu laufen und um Merry, Sam und Pippin zu trauern, selbst aber frei und am Leben zu sein. Gandalf würde zugeben müssen, dass er nichts anderes hätte tun können.
Aber sein eben erst erwachter Mut war nun schon zu stark geworden, als dass er seine Freunde so einfach hätte im Stich lassen können. Er schwankte, tastete nach dem Ring in der Tasche und wurde sich mit sich selbst nicht einig; und währenddessen kroch der Arm immer näher. Da verfestigte sich sein Entschluss: Er ergriff ein kurzes Schwert, das neben ihm lag, und beugte sich kniend tief über die Leiber seiner Freunde. Mit aller Kraft, die er aufbieten konnte, hieb er auf den kriechenden Arm, dicht beim Handgelenk. Die Handwurde abgetrennt, und im gleichen Augenblick zersplitterte das Schwert bis ans Heft. Ein schriller Schrei, und das Licht erlosch. Aus dem Dunkeln kam ein fauchendes Geräusch.
Frodo fiel vornüber auf Merry. Merrys Gesicht war kalt. Mit einem Mal fiel ihm wieder ein, was er seit dem ersten Anblick des Nebels völlig vergessen hatte: das Haus unterm Berg und Toms Gesang. Er erinnerte sich des Reims, den Tom ihnen beigebracht hatte. Mit schwacher, flatternder Stimme begann er: He! Tom Bombadil! Doch mit diesem Namen schien seine Stimme zu erstarken; sie gewann Fülle und Leben, und in der dunklen Kammer hallte es wider wie von Pauken und Trompeten.
He, Tom Bombadil, komm zu unsrer Freude,
Komm, bei Wasser, Wald und Berg,
komm bei Schilf und Weide,
Komm, bei Feuer, Sonn und Mond, eilends angetreten,
Komm, Tom Bombadil, denn wir sind in Nöten!
Tiefe Stille trat ein, in der Frodo sein Herz
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