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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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Fräulein?«
    »Veysha«, antwortete sie.
    »Dann sag mir, Veysha – solch ein hübscher Name –, gibt es hier in der Gegend irgendwelche Sehenswürdigkeiten zu bestaunen? Irgendwelche verfallenen, alten Tempel oder vielleicht einen Fluss zwischen Bäumen, der das Sternenlicht auffängt, einen guten Ort für ein Mitternachts-
picknick?«
    Sie errötete ein wenig.
    »Hier in der Gegend gibt es nicht viel zu sehen, Herr«, erwiderte sie. »Mein Liebster und ich machen manchmal einen Spaziergang, aber sobald du eins der Felder gesehen hast, hast du sie alle gesehen.«
    Sie zog sich zurück, und er seufzte innerlich. Die Erwähnung eines Liebsten, ob er nun existierte oder nicht, war offensichtlich dazu gedacht, eine klare Botschaft zu übermitteln.
    War er zu forsch gewesen?
    Er war in diesem Spiel einmal besser gewesen. Er hatte jede Menge Frauen gehabt, die ihn umschwärmten, und sein Ruf als Liebhaber hatte ihm gute Dienste geleistet. Charmant auf eine Weise, die sich nicht gezwungen anfühlte, wie sie das in letzter Zeit getan hatte. Das Leben als Hoffadenwirker und bester Freund des Königs war gut gewesen. Jetzt konnte er nicht einmal mehr das Interesse einer rundlichen, auf einem Bauernhof aufgewachsenen Tavernenmagd erregen.
    Nun, es spielte keine Rolle. Er war nur neugierig gewesen, ob er noch immer williges Interesse herbeischmeicheln konnte. Die Mühe langweilte ihn jedoch schnell, und es gab immer den leichteren Weg. Ein kleines »Halt!« in seinem Geist, um das Verstreichen der Zeit aufzuhalten, während er sie berührte natürlich, und er würde sie mit sich in die Leere nehmen, während der Rest der Welt erstarrte. Dann konnte er sich unter ihren Rock begeben und sie über die Theke werfen, und sie konnte nach ihrem dummen, eingebildeten Liebsten schreien, so viel sie mochte, während er ihre Brüste gegen das Holz presste, unter dem dumpfen Blick der Trunkenbolde …
    »Ist alles recht so, Herr?«
    Ihm wurde klar, dass er die Zähne gefletscht hatte, während er sich den Schweiß vorgestellt hatte, der ihr die Schenkel hinunterlief.
    »Oh … ja.« Er mäßigte seinen Gesichtsausdruck. »Das Bier ist nur ein wenig kühl an einem empfindlichen Zahn, den ich zufällig habe.«
    Vielleicht würde es einfach sein, sie zu vergewaltigen, doch er schaffte es, sich zu beherrschen. Sein Leben lang war seine Lust groß gewesen, selbst vor der Verwandlung. Er wollte jedoch keine Spur von Brotkrumen hinterlassen, die dem verfluchten Braston und wem auch sonst noch seinen Aufenthaltsort verrieten. Er hatte seine Regel bereits gebrochen und den anderen Wächtern praktisch kundgetan, dass er wieder da war, aber diese Veysha war nicht hübsch genug, um das Risiko zu rechtfertigen.
    »Gibt es irgendwelche Huren in diesem Provinznest?«, fragte er, und alle Freundlichkeit war aus seinem Benehmen verschwunden.
    »Ähm …« Veysha mochte ihn überhaupt nicht mehr. »Nein, Herr … die Männer hier in der Gegend bleiben ihren Frauen treu.«
    Despirrow lachte bellend. »Was hat das damit zu tun?« Er kippte den Rest seines Biers herunter, warf einige Münzen auf den Tisch und stolzierte hinaus.
    Draußen stach die Sonne ihm schmerzhaft in die Augen und verursachte ihm einen leichten Schwindel. Wie lange hatte er in der Taverne gesessen? Wie betrunken war er tatsächlich?
    Es spielte keine Rolle. Nichts spielte wirklich eine Rolle. Solange er nicht in ihrer Nähe auftauchte, konnte er tun, was ihm gefiel. Sie würden ohnehin nicht ihn als Ersten aufs Korn nehmen, oder? Forger und Karrak waren viel schlimmer als er. Diese beiden waren konzentriert und grandios in ihren Taten, während er es zufrieden blieb, niemandem in die Quere zu kommen. Er konnte seine alten Kameraden später immer noch aufsuchen, wenn es notwendig sein sollte. Bis dahin wollte er sich nicht beschweren – sosehr es ihn auch verwirrte, dass er aus dem Grab zurückgekehrt war.
    Er schlenderte die Straße aus festgestampftem Lehm entlang und musterte die Hütten des Dorfes mit Verachtung.
    Ich gehöre nicht hierher, dachte er. Ich brauche eine richtige Stadt.
    Sobald er das Dorf hinter sich hatte, fand er ein abgelegenes Plätzchen unter Bäumen und ließ sich im Schatten zu Boden sinken. Zeit, den Fadengang anzutreten, aber wohin sollte er gehen?
    Saphura, kam die Antwort.
    Wagte er es?
    Er versuchte, ein Bild des Ortes heraufzubeschwören, sich die Linie zwischen ihm und Saphura vorzustellen, aber der Alkohol machte es ihm schwer, einen klaren Gedanken zu

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