Der Herr der Unruhe
hört haben, so entschuldige ich mich dafür. Das Telefon. Immer wenn man es braucht, gibt es eine Störung.«
Ihr hübsches Gesicht blieb unbewegt. »Das erleben wir doch fast täglich. Ist das ein Grund, sich selbst wie ein G e störter zu benehmen?«
»Nein, selbstverständlich nicht. Verzeihen Sie bitte, Do n na Laura. Ich muss jetzt dringend weg.«
Sie lächelte amüsiert. »Ohne Wachablösung?«
Valletta verzog das Gesicht. »Die ist schon unterwegs. Sie sind nur für kurze Zeit ohne Schutz.«
»Ich muss zugeben, dass ich mich eher sicherer fühle, wenn Sie nicht im Haus sind, Signor Valletta.«
Die Antwort war für ihn wie ein Hieb in die Magengrube. Warte bis ich zurückkomme!, dachte er. Seine Erwiderung klang wie immer freundlich. »Das werde ich jetzt tun, Do n na Laura. Würden Sie mir bitte die Tür frei machen? Ich will Ihnen nicht zu nahe treten.«
Die Schutzbleche hielten den Schlamm nur unzureichend zurück. Nico fühlte sich wie eine rasende Moorpackung. Bis Cisterna hatte er nur einmal anhalten müssen. Eine deutsche Patrouille war begierig darauf gewesen, seine Re i seerlaubnis zu sehen.
»Warum du fahren nach Castello?«, erkundigte sich der Hauptmann in gebrochenem Italienisch.
»Das Röntgengerät von Stabsarzt Doktor Sägemüller hat Halluzinationen.«
»Was?«
»Doktor Sägemüller … Maschine … kaputt … ich rep a rieren«, präzisierte Nico in ebenso bruchstückhaftem Deutsch.
»Na, meinetwegen. Fahren Sie weiter.«
Ohne weitere Zwischenfälle erreichte er die Festung. Die Castelli Romani waren zu einem Synonym für die Albaner Berge geworden. Ihre strategische Bedeutung hatte sich sogar bis ins Deutsche Reich herumgesprochen.
Die Posten am Tor waren offenbar bereits informiert. Nach einem kurzen Blick in Nicos Papiere brachte ein G e freiter den Techniker zum Stabsarzt.
Dr. Wilhelm Sägemüller war ein Mann in den Dreißigern mit tiefen Geheimratsecken und einem nicht sehr sauberen Kittel. Er zog den Besucher in einen Raum, der im Mittela l ter als Waffenkammer gedient haben mochte, und schloss hinter sich die Tür.
»Der Späher von Forte Sangallo schickt mich. Sie wissen, wer ich bin?«, fragte Nico auf Deutsch.
Die hellblonden Augenbrauen des Stabsarztes rutschten nach oben. »Äh, ja … Sie sprechen Deutsch ?«
»Ich habe sechs Jahre meiner Jugend in Wien verbracht.«
»Davon wusste ich allerdings nichts. Das erspart mir die peinliche Radebrecherei mit meinem stümperhaften Itali e nisch. Geht es Ihnen nicht gut?«
»Sieht man mir das an?«
»Ich müsste lügen, wenn ich Nein sagen sollte.«
»Haben Sie die Unterlagen, Doktor?«
Der Arzt nickte. »Truppenstärke, Bewaffnung, Positionen der Vorposten et cetera, et cetera.«
»Dann geben Sie sie mir. Ich werde sie an die richtigen Leute weiterleiten.«
»Wenn Sie damit erwischt werden, wird man uns beide erschießen.«
»Warum helfen Sie der Resistenza dann?«
»Ich war im letzten September in der Provinz Cueno st a tioniert und habe erlebt, wie SS-Einheiten zweiunddreißig Frauen und Männer aus Bove kaltblütig erschossen und anschließend das Dorf niedergebrannt haben. Ich bin Arzt. Ich habe den hippokratischen Eid geschworen, wissen Sie? Meine Pflicht ist es, Leben zu retten und nicht, dabei zu helfen, es zu zerstören.«
»Verstehe. Geben Sie mir die Papiere, Doktor. Wenn ich zurückfahre, wird es bereits dämmern. Ich benutze Nebe n strecken. Ihre Patrouillen werden mich nicht schnappen.«
Der Arzt reichte Nico einen schwarzen Aktendeckel, der mit einem breiten roten Gummi zusammengehalten wurde. »Warten Sie ein paar Tage, bevor Sie das Material einse t zen. Ich bin dann aus der Schusslinie. Nein, eigentlich eher das Gegenteil.«
»Wieso?«
»Ich wurde nach Süden versetzt, an die Front.«
Nico steckte sich die Akte unters Hemd in den Hose n bund. Während er sein Äußeres wieder in Ordnung brachte, fragte er: »Woran kann man eigentlich einen akuten Fall von TBC erkennen, Doktor?«
»Leiden Sie unter Husten?«
»Nein. Wieso?«
»In ungefähr neunzig Prozent der Infektionen ist die Lu n ge die Hauptpforte, durch die der Erreger in den menschl i chen Körper eindringt. Wenn er erst einmal sein zerstörer i sches Werk aufgenommen hat, werden aber fast alle Organe von ihm befallen. Die Bakterien erzeugen dort einen so genannten ›Tuberkel‹. Das ist ein rundlicher Herd, der im Innern aus abgestorbenem Gewebe besteht. Für eine grün d liche Diagnose ist natürlich die Analyse von
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