Der Herr der Unruhe
Körperflüssi g keiten, in denen wir nach dem Tuberkelbakterium suchen, am besten geeignet. Aber das ist vergleichsweise aufwä n dig, weshalb wir uns meistens mit Röntgenaufnahmen von der Lunge begnügen.«
»Und was sieht man auf so einem Bild?«
»Warten Sie. Ich habe eine Fotografie.« Er ging zu einem Regal, zog ein dickes Buch hervor, blätterte einen Moment darin herum und zeigte Nico zwei Schwarzweißaufnahmen. »So sieht eine gesunde Lunge aus. Die da ist von einem Morbus-Koch-Patienten. Diese weißen Flecken hier oben an den Lungenspitzen sind typisch für akute Tb-Herde. Und das da weiter unten stammt von dem eingelagerten pathol o gischen Zellgewebe; wir nennen so etwas ›Infiltrate‹.«
»Sieht aus wie dichte Spinnweben.«
»Ziemlich gefährliche Spinne. Wieso wollen Sie das alles wissen, wenn Sie selbst keine Beschwerden haben?«
»Hat Ihnen der Kontaktmann nichts gesagt?«
»Nur, dass Sie eventuell in einem medizinischen Fall meine Unterstützung brauchen.«
Nico lächelte. »So kann man es auch ausdrücken. Ich möchte Sie da um einen Gefallen bitten, Doktor Sägemü l ler.«
Als Guido Valletta das Kastell nördlich von Cisterna e r reichte, dämmerte es bereits. Den Posten zeigte er seinen Passierschein, der ihn als Mitglied der Banda Koch identif i zierte.
Einer der Wachleute war Italiener. Er ging auf Distanz und sagte: »Gehen sie durch das Tor. Am Ende des Hofes finden Sie links eine Treppe. Dort hinunter. Der Stabsarzt erwartet Sie bereits.«
Valletta fühlte sich wie ein Aussätziger. Missmutig stap f te er durch die Pfützen im Innenhof des Kastells, nahm die besagte Treppe und klopfte an die Tür.
»Avanti!«, ertönte es von drinnen.
Der ehemalige Geheimpolizist trat in einen Raum, der ihn an eine Folterkammer denken ließ. Er sah verschiedene, beunruhigend aussehende medizinische Instrumente, auße r dem einen primitiven Tisch, eine Schreibtischlampe, ein Bücherregal, eine Untersuchungsliege, zwei weitere Türen und einen hellblonden Mann in weißem Kittel.
»Mein Name ist Sägemüller. Ich bin hier der Stabsarzt«, begrüßte dieser den Ankömmling kühl. Kein Händedruck. Er sprach mit hartem Akzent und sehr langsam, als müsse er jedes Wort erst gründlich abwägen. »Signor Valletta, nehme ich an.«
Guido der Skorpion bejahte die Frage, die eigentlich eher nach einer Feststellung klang. Zumindest stimmte, was der Inspekteur angekündigt hatte.
»Capitano Semperboni hat Sie mir bereits avisiert.«
»Da muss ein Irrtum vorliegen, Dottore …« Valletta hatte auf den Arzt zugehen wollen, aber der wich zurück und reckte ihm beide Handflächen entgegen.
»Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich muss mich erst schützen.«
Der Stabsarzt ging zu einer Ablage, entnahm einer blit z blanken Stahlschatulle einen Mundschutz und legte diesen an. Danach dirigierte er den potenziellen Seuchenträger zur Untersuchungsliege und nötigte ihn dazu, den Oberkörper freizumachen. Er lauschte mit dem Stethoskop auf Herz- und Atemgeräusche, fühlte den Puls, stellte Fragen.
»Husten?«
»Ich rauche ziemlich stark.«
»Also ja. Wie oft?«
Die Antwort ging in einem Husten unter.
»Danke, das genügt.«
»Leichte Ermüdbarkeit? Erschöpfungszustände?«
»Mein Dienst ist ziemlich hart, Dottore …«
»Verstehe. Appetitlosigkeit?«
»Eigentlich nicht … Na ja, manchmal vielleicht.«
»So, so. Verdauungsprobleme?«
»Hin und wieder kann ich ein paar Tage lang nicht … Sie wissen schon.«
»Was?«
Valletta schrumpelte auf der Liege vor Schreck regelrecht zusammen. »Ist das schlimm?«
»Ich muss es auf jeden Fall in meine Diagnose mit einb e ziehen. Wir werden jetzt ein hübsches Foto machen.«
»Wozu?«
»Von Ihrer Lunge. Ein Röntgenbild.«
»Muss das sein?«
»Nein, ich kann Sie auch gleich unter Quarantäne ste l len.«
Valletta seufzte. »Also meinetwegen. Aber machen Sie schnell, Dottore, ich muss zurück auf meinen Posten.«
»Junger Mann, ich bin Arzt, kein Jagdflieger. Kommen Sie.«
Valletta musste seine Brust gegen eine eiskalte Scheibe drücken und sein Kinn auf eine Metallschiene legen. Je mehr er sich bemühte, nicht zu husten, desto stärker wurde der Reiz. Aus einem Nebenraum erklang leises Gesumme. Wenn der Stabsarzt glaubte, ihn mit einem Kinderlied b e ruhigen zu können, dann hatte er sich verrechnet. Die M e lodie aus dem benachbarten Gewölbe verstummte. Nun kamen unmissverständliche Anweisungen.
»Einatmen …. Luft anhalten …. Jetzt nicht
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