Der Herr der Unruhe
Goldschmied wiegte den Kopf hin und her. »Ich will ein Tor sein, wenn an den Befürchtungen des Jungen nicht etwas Wahres dran ist. Manzini muss nicht sämtliche Pol i zisten der Stadt bestechen, es genügt schon, wenn er j e manden weit genug oben auf der Gehaltsliste hat.«
Salomia stieß hörbar die Luft aus, fasste sich an die Stirn, schöpfte tief Atem, ließ ihn wieder fahren und hob erneut zu einer Erwiderung an. »Aber das hieße ja, wir könnten gar nichts tun, außer …«
»Uns davonstehlen?«
Sie nickte mit großen Augen.
Die Spitzen von Davides Schnauzbart begannen zu z u cken, ein untrügliches Zeichen für einen seiner Geistesbli t ze. »Nico könnte der Staatsanwaltschaft einen Brief schre i ben und eine ausführliche Zeugenaussage machen.«
»Einen Brief? An die Procura del Re ?«, echote Salomia fassungslos. »Das ist eine Schnapsidee.«
»Ist es nicht.«
»Ist es doch. Wir werden schneller sterben, als du hawd a la sagen kannst.« Mit diesem Wort, das »Unterscheidung« bedeutet, bezeichnen die Juden ihre Zeremonie zur Beend i gung des Schabbats.
»Eben nicht, mein Täubchen«, widersprach Davide.
»Und wieso bist du dir da so sicher?«
»Weil Nico schreiben wird, dass er nach der Tat geflohen ist.«
Salomia warf die Hände in die Luft. »Aber das ist doch der Schlamassel!«
»Ganz im Gegenteil. Nico wird bei Verwandten in Sard i nien unterschlüpfen.«
»Ich wusste gar nicht, dass er auch Angehörige dort hat.«
»Weil es die gar nicht gibt. Wir fahren zu deiner Familie auf die Insel, bis sich hier die Wogen geglättet haben. Nico flieht in eine ganz andere Himmelsrichtung.«
»Mach’s nicht so spannend, Davide. Wohin willst du ihn schicken?«
Der Goldschmied lächelte geheimnisvoll. »Lass mich z u erst jemanden anrufen.«
Die Piazza Navona war für ein verschwiegenes Treffen ungefähr genauso gut geeignet wie eine voll besetzte Spor t arena. Sie zählte zu den belebtesten Orten Roms. Ausg e rechnet hier hatte sich der von Meister Davide angekündi g te Helfer mit ihnen verabredet. Nico hielt das für keine gute Idee.
Sein Blick wanderte unruhig über den lang gestreckten Platz, der seine ursprüngliche Zweckbestimmung als Stad i on nicht verhehlen konnte. In seinem Ohr rauschte das Wasser der Fontana dei Fiumi. Der Vierströmebrunnen war auch Gegenstand von Meister Davides unablässigem Ger e de. Hatte er denn etwa keine Angst? Vermutlich verdrängte er nur seine Gefühle mit dem Geplapper über die künstler i sche Schönheit des Brunnens, der in Gestalt stämmiger Herren jene vier Flüsse symbolisierte, die man im siebzeh n ten Jahrhundert für die weltweit größten gehalten hatte.
Das plätschernde Wasser vereinte sich mit Davides Erkl ä rungen und den bangen Gedanken in Nicos Kopf zu einem tosenden Geräusche. Während der Goldschmied von Bern i ni, dem Schöpfer des Brunnens, berichtete, wanderte der Blick des Jungen einmal mehr über die Piazza. In jedem zweiten Gesicht vermutete er einen Schergen Manzinis. Meister Davides Stimme drang wie ein fernes Nebelhorn aus dem Rauschen des Wassers.
»… weshalb man sich erzählt, der kräftig gebaute Herr dort, der den Rio de la Plata darstellt, hebe nur deshalb wie abwehrend die Hand, weil er fürchtet, die von Borromini entworfene Kirchenfassade könne ihn erschlagen. Die zwei waren einander spinnefeind.«
Nico blinzelte benommen. »Wer?«
»Bernini und Borromini, die beiden großartigen Baroc k meister. Du hast mir gar nicht richtig zugehört, oder?«
»Warum konnten wir uns nicht irgendwo an einem stillen Ort mit deinem Freund treffen? Wieso ausgerechnet hier, wo all die Leute sind? Wenn er nun ein Verräter ist …«
»Mach dir keine Sorgen.«
Der Junge hasste es, wenn Erwachsene »Mach dir keine Sorgen« sagten. Sie würden es kaum tun, wenn es nicht einen Anlass dazu gäbe.
»Ich glaube, da kommt er.« Der Goldschmied deutete mit dem Kinn zum westlichen Eingang der Piazza.
Aus Richtung des Torre Millina, eines mittelalterlichen Turmes der Guelfen, näherten sich ungefähr zwei Dutzend Personen. Nico wusste weder, wie der Unbekannte aussah, noch wie er hieß. Es musste sich wohl um einen Mann ha n deln, also sonderte er alle Frauen aus. Zwei Polizisten und einen Mönch in schwarzer Kutte ließ er ebenfalls außer Acht. Blieben immer noch sieben oder acht Herren, deren Äußeres er nach Hinweisen auf Verschlagenheit oder son s tige verräterische Merkmale absuchte.
Derweil war der Mönch an der Seite
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