Der Herr der Unruhe
gegenseitig auf die Füße. Sie schütteln die Köpfe und heucheln Betroffenheit, aber am liebsten würden sie alle ins Haus stürzen und sich am Anblick des Blutbades berauschen.«
Ein breitschultriger Mann mit grauem Anzug und einem Hut in der Hand trat aus der Tür. »Wenn ich meine Nac h barn in diesem … Zustand entdeckt hätte, wäre ich vermu t lich genauso verbittert wie Sie.« Er wandte sich dem Ju n gen zu. »Mein Name ist Gianfranco Campostelli. Ich bin hier der Commissario. Und du musst dann wohl das Pate n kind von Signor Ticiani sein.«
Nico warf dem Goldschmied einen nervösen Blick zu. Er glaubte, in seinen dunklen Augen ein irritiertes Funkeln zu bemerken. Ansonsten blieb Davides Gesicht ausdruckslos. Sich wieder dem Kommissar zuwendend, antwortete er leise: »Schon.«
»Wo wohnst du?«
Am liebsten hätte sich Nico in Luft aufgelöst. Der Ko m missar musste Röntgenaugen haben, so wie er ihn anstarrte. Durfte er dem Beamten die Wahrheit sagen, oder war der auch nur von Manzini gekauft? »Ich bin bei Onkel Davide zu Besuch«, erwiderte Nico nur unwesentlich lauter.
»Und wie ist dein Name?«
»Nico …« Das Flüstern des Jungen wurde vom Stimme n gewirr aus der Wohnung verschluckt.
»Hat dir jemand die Stimmbänder gestutzt?«, knurrte der Ermittlungsbeamte. »Oder gibt es da etwas, das du mir s a gen möchtest?«
»Sie sehen doch, dass der Junge völlig verschüchtert ist, Commissario«, entrüstete sich Davide.
»Hat er etwa auch die Lei…« Der Kommissar schluckte den Rest des Wortes hinunter. »War er dabei, als sie Signor Carlotti und seinen Sohn fanden?«
»Nein, war er nicht. Der Junge hat nichts mitbekommen. Absolut gar nichts. Und jetzt lassen Sie uns bitte nach oben gehen, Commissario Campostelli, damit das Kind dies hier –« er wedelte missfällig mit der Hand in Richtung Wo h nungstür – »nicht mit ansehen muss.«
Der Kommissar holte tief Luft, als wollte er zu einer E r widerung ansetzen, sagte dann aber nur: »Na, meinetwegen, Signor Ticiani. Der Tag hat für uns alle nicht gut angefa n gen. Gehen Sie nur. Aber halten Sie sich bitte zur Verf ü gung. Wir werden unsere Unterhaltung zur gegebenen Zeit fortsetzen.«
Der Goldschmied nickte nur und schob dann den Jungen die Treppe hinauf.
»Ach, Signor Ticiani?«, rief der Beamte unvermittelt von unten.
Davide blieb stehen und drehte sich langsam um. »Co m missario?«
»Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, dass der Knabe und Sie den beiden To… – ich wollte sagen, den Opfern recht ähnlich sehen?«
Davide nickte bedächtig, drehte sich wieder um und setzte seinen Aufstieg mit dem Jungen fort. »Ja, Commissario, das ist mir aufgefallen.«
»Komm, trink erst mal einen Schluck Tee.« Salomia Tici a ni war eine hagere Frau mit strengen Gesichtszügen, die überraschend sanft sein konnte. Ihre rehbraunen Augen ruhten voller Mitleid auf dem Gesicht des unverhofften Besuchers.
Nico nahm dankbar die Tasse entgegen und nippte daran.
Davide schüttelte den Kopf. Das tat er nun schon seit mindestens einer Minute. »Ich kann es immer noch nicht fassen. Wenn ich nicht wüsste, dass du ein lieber, gesche i ter und noch dazu ein ganz besonderer Junge bist, würde ich dich für betrunken halten.«
»Du jedenfalls bist ein Holzkopf, wenn du nicht siehst, was hier vor sich geht«, schimpfte Salomia. »Meinst du, Aaron und Feliciano wurden zufällig am gleichen Tag e r mordet wie Nicos Vater?«
Wieder wurde der Kopf des Goldschmiede- und Uhrm a chermeisters zu einer Unruh, die von Fassungslosigkeit getrieben hin und her pendelte.
»Der Junge ist in Gefahr«, betonte Salomia.
Ihr Mann seufzte vernehmlich.
»Und wir sind es auch, Davide! Der tote Aaron – das hat dir gegolten. Sie werden bald dahinter kommen, dass sie die Falschen umgebracht haben, weil unser Namensschild zufällig noch an der alten Wohnung hängt.«
»Vielleicht sollte ich dem Commissario erzählen, was der Junge uns berichtet hat.«
»Nein!«, brach es aus Nico hervor.
Salomia legte den Arm um ihn. »Beruhige dich. Warum hast du solche Angst vor der Polizei? Sie ist unser Freund – meistens jedenfalls.«
Nico breitete die Hände aus. »Weil … Don Massimiliano ist ein Bandit, aber nie musste er ins Gefängnis.«
»Der Junge meint, Manzini kann bestechen, wen er will«, übersetzte Davide.
Seine Frau schüttelte energisch den Kopf. »Er mag ja in Nettuno eine große Nummer sein, aber er kann doch nicht die ganze Polizei von Rom kaufen.«
Der
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