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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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rief Nico dem Erstbesten zu, einem Bullen in Uniform.
    »Das geht jetzt nicht«, knurrte der Ordnungshüter, ohne ihn anzusehen.
    »Ich muss aber!«
    »Ist mir egal. Ich darf niemanden durchlassen.«
    Der Junge versuchte eine Lücke zu finden, durch die er hindurchschlüpfen konnte, aber die menschlichen Zau n pfähle rückten nur noch enger zusammen. »Stimmt es, dass da drin jemand ermordet wurde?«, fragte er.
    »Wir haben Befehl, über den Tathergang zu schweigen.«
    Nico machte sich seinen eigenen Reim auf die Antwort. »Es ist doch nicht Signor Ticiani, den man erschossen hat?«
    Die unbewegte Miene des Polizisten veränderte sich schlagartig. Seine buschigen Augenbrauen glitten aufeina n der zu, er beugte sich zu dem Plagegeist hinab und raunte: »Bist du mit ihm verwandt?«
    Der Junge zögerte. Weil er einerseits zur Wahrheitsliebe erzogen worden war, andererseits ein Nein als Antwort eher hinderlich einschätzte, bot er dem Polizisten ein »Sozus a gen« an.
    »Was soll das heißen?«, entgegnete der barsch.
    »Davide Ticiani ist … mein Patenonkel . Gewisserm a ßen.«
    Der Beamte grübelte einen Moment darüber nach, dann richtete er sich kerzengerade auf, wandte sich um und rief zu einem Kameraden, der im Hauseingang stand: »Fabrizio, da ist ein Zeuge. Führ ihn zum commissario nach oben.«
    Eine schwere Hand legte sich auf Nicos Schulter. Er wu r de ins Haus geschoben, die Treppe hinauf, und fühlte sich unterdessen wie der Tatverdächtige Nummer eins. Davide Ticiano lebte in einer geräumigen Wohnung direkt über dem Laden. Sofern er noch am Leben war. Nicos Knie wurden weich. Als er und sein Bewacher das schmale P o dest im ersten Stock erreichten, konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten.
    »Du bleibst hier stehen und rührst dich nicht von der Ste l le«, befahl der Polizist und verschwand in die Wohnung, in der es nur so wimmelte von Leuten mit und ohne Unifo r men. Es waren ausnahmslos Männer.
    Nico schnappte einige Wortfetzen auf, die wie Aschefl o cken aus der Wohnung trieben. Sie klangen größtenteils hohl, fast so, als hätte jemand jedes Gefühl aus ihnen he r ausgequetscht.
    »Was für eine Riesensauerei! … Hätte schlimmer ko m men können … Nur zwei … Nur? Es ist ein Kind dabei … Möchte wissen, wer zu so etwas imstande …«
    »Bist du das, Nico?«
    Der Junge war wie vom Blitz getroffen. Seit wann konnte er Tote reden hören? Diese Stimme, die wie eine uralte Tür knarrte, gehörte zweifellos dem ganz und gar nicht so alten Goldschmied. Mit steifem Nacken drehte sich Nico um. Und tatsächlich: Auf der vorletzten Stufe der nach oben führenden Treppe stand Davide Ticiano, so zerbrechlich und zugleich lebendig wie eh und je. Die Enden seines b u schigen Schnurrbarts schienen tiefer als sonst nach unten zu hängen.
    »Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte betrübt der Mann, der mit edlen Metallen genauso geschickt umgehen konnte wie mit winzigen Zahnrädern, Zapfen, Ankern und Spir a len.
    Nico deutete verständnislos auf die offene Tür. »Aber das ist doch deine Wohnung, Onkel Davide.«
    Der dunkelhaarige Goldschmied nickte traurig. »War, mein Junge. Es war die Wohnung, in der ich mit meinen Eltern und Lea, meiner großen Schwester, aufgewachsen bin. Aber seit der Wirtschaftskrise halten die Leute ihr Geld zusammen, und das Geschäft läuft nicht mehr so gut wie früher. Salomia und ich sind vor ein paar Tagen unters Dach gezogen und haben die große Wohnung an die Fam i lie Carlotti vermietet. Feliciano war in deinem Alter.«
    Ein neuerlicher Schauer ließ Nico erbeben. »Feliciano?«, flüsterte er.
    Davide nickte. Sein schmales Gesicht war aschfahl. »Ein aufgeweckter Junge. Sie haben ihn und seinen Vater rege l recht geschachtet, ihnen einfach die Kehlen durchgeschni t ten. Kannst du dir so etwas vorstellen?«
    Der Junge hatte das Gefühl, sich langsam, aber sicher in einen Eiszapfen zu verwandeln. »Auf der Straße … Da … da war ein Mann … Er hat gesagt, hier ist jemand erscho s sen worden.«
    Davide kam das letzte Stück die Treppe herunter und le g te seinen Arm um die Schulter des Jungen. »Vermutlich kursieren schon ein Dutzend verschiedene Fassungen von dem, was hier vor kaum zwei Stunden geschehen ist. Wü r den die Leute aufrichtigen Abscheu empfinden, dann kön n te sich Maria vor Tröstern jetzt nicht retten – sie war gerade Milch kaufen gegangen und hat das Gemetzel nur deshalb als Einzige überlebt. Stattdessen treten sich die Leute vor der Tür

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