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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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endlich wieder einen Satz verstanden hatte.
    Johan funkelte ihn missmutig an und entgegnete: »Man muss dem Volk aufs Maul schauen, um seine Sprache zu lernen, wozu du bisher kaum Gelegenheit gehabt haben dürftest. Will man es freilich richtig verstehen, dann sollte man seine großen Dichter lesen.«
    Wenn das keine Abfuhr war! Nico schlug die Augen ni e der. Dabei fiel sein Blick auf die Gazette im Schoß. Es war eine schon mehr als zwei Wochen alte Ausgabe der Arbe i ter-Zeitung. Allein den Titel zu lesen fiel ihm schon schwer.
     
    DIE KREDITANSTALT MUSS VOM STAAT
    GESTÜTZT WERDEN
     
    Er hatte nicht die geringste Ahnung, was die Worte bede u teten.
    Als wolle Johan ihm den Todesstoß versetzen, nahm er jetzt auch noch ein Buch vom Schreibtisch und hielt es ihm entgegen. »Das ist der Wilhelm Tell, Friedrich Schillers letztes großes Werk. Wenn du dir zutraust, innerhalb von einem Jahr jede beliebige Stelle des Schauspiels aus dem Gedächtnis aufzusagen, dann will ich dir glauben, dass du Deutsch lernen möchtest.«
    Der Junge war am Boden zerstört. Für einen langen M o ment war nur das Ticken der Standuhr zu hören. Gnadenlos zählte ihr Pendel den K.-o.-Gegangenen aus. Vor seinen Augen begann das eher dünne Büchlein zu verschwimmen und zu einem dicken Folianten aufzuquellen. Die Zeitung rutschte ihm aus den Händen und segelte auf den Teppich. Schwerfällig erhob er sich. Höchste Zeit, den Karton zu schnappen und sich zu verkrümeln. Sein Kopf war zu einer dunklen Höhle geworden, in der das Hoffnungslicht nur noch wenige Worte aufblitzen ließ: Waisenhaus, Arme n speisung, Bettelstab …
    Überraschend meldete sich in diesem Augenblick erneut Leas rauchig-sanfte Stimme zurück. Obwohl ihr ein gewi s ser Unmut anzuhören war, blieb sie beherrscht. »Was du da redest, Johan, ist von vorne bis hinten Schmonzes. Siehst du nicht, wie sehr du den Jungen quälst? Natürlich wird er bei uns bleiben, und Gott wird uns dafür segnen.«
    »Das ist nicht sicher«, widersprach Johan.
    »Hältst du dich für Abraham, dass du mit dem Ewigen zu schachern wagst?«
    »Frau, zügle deine Zunge! Wir sind doch keine Rindvi e cher, dass wir immer alles ewig von neuem durchkauen müssen. Ich habe dir meine Gründe ausführlich erklärt. Aus dem Jungen wird nie ein gescheiter Uhrmacher. Meinetw e gen kann er die Nacht bei uns bleiben, aber dann schicken wir ihn zu den Mönchen zurück.«
    Lea blinzelte auffallend langsam, wie ein Schachspieler, der seinem Gegner gerade einen Turm abgenommen hat, und sich nun Gedanken über den nächsten Zug macht. »A n scheinend hast du schon vergessen, was in Davides Brief steht. Der Junge ist begabt. Sehr sogar. Mehr als jedes a n dere Kind, das mein Bruder je gesehen hat.«
    »Das haben sich die beiden nur ausbaldowert, um mich weich zu klopfen. Pass auf, ich werd’s dir beweisen. – R a gazzo !«
    Nicos Kopf war im Laufe des ihm mehrheitlich unve r ständlichen Wortwechsels wie bei einem Pingpongspiel hin- und hergesprungen. Bei dem italienischen Wort für »Junge« rastete etwas in seinem Hals ein. »Ja, Signor M e zei?«
    »Komm her!«
    Nico gehorchte, wenn auch zögerlich. Inzwischen war draußen die Nacht heraufgezogen. Abgesehen von der Leuchte beim Lehnstuhl bot nur die Lampe auf dem Schreibtisch der Dunkelheit die Stirn. Johan und Lea Mezei mochten das Zwielicht im Wohnzimmer ja gemütlich fi n den, aber dem Jungen kam es unheimlich vor. Als er neben dem Meister stehen blieb, bemerkte er zum ersten Mal, was sich dort auf einer schwarz samtenen Unterlage befand: eine silberne Taschenuhr, deren hinterer Deckel geöffnet war.
    »Was siehst du?«, fragte der Meister.
    »Eine silberne Taschenuhr, deren hinterer Deckel geöf f net ist.«
    »Das habe ich befürchtet.«
    »Johan, sei nicht so ungerecht!«, kam postwendend die Ermahnung aus dem Lehnstuhl.
    »Fällt dir sonst nichts auf?«, fragte der Meister streng.
    »Es ist ein Chronometer, eine Präzisionsuhr.«
    »Noch etwas?«
    »Sie stirbt.«
    Zum ersten Mal an diesem Abend war es dem Jungen g e lungen, Johan Mezei zu überraschen. Seine Stahlwolla u genbrauen ruckten zusammen. »Was sagst du?«
    »Ihre Unruh steht schon lange still.«
    »Ha!«, gickste der Meister und schüttelte ungläubig den Kopf. »Wenn die Unruh bricht, erlischt dein Lebenslicht«, dichtete er auf Deutsch, und es klang ein wenig, als wolle ihm der Verstand durchbrennen. Hilfe suchend sah er zu seiner Frau, die einfach nur wissend lächelte.
    »Darf ich sie

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