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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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beobachten, zu lernen, um im entscheidenden Augenblick für jede Herausforderung gewappnet zu sein. Verstehst du, was ich damit sagen will?«
    »Ich glaube schon«, erwiderte Nico leise.
    Johan, der normalerweise kein Freund von Gefühlsduselei war, ließ ihn wieder los. »Du hast mir mit deinem düsteren Gerede einen Schrecken eingejagt, Junge.«
    Nico versuchte zu lächeln, mit wenig Erfolg. »Danke für deine – wie sagt ihr? – ezzes?«
    »Ratschläge, meinst du?« Johan lachte. »Dein Jiddisch klingt zwar noch etwas holperig, aber das wird schon.«
    Plötzlich erlosch das Licht der elektrischen Lampe auf dem Arbeitstisch.
    Die Miene des Meisters verdüsterte sich. »Verflucht und zugenäht! Die Birne kann doch nicht schon wieder durc h gebrannt sein. Ich habe erst gestern eine neue eing e schraubt.«
    Nico hielt seine Hand dicht über dem heißen Lampe n schirm. »Ihr fehlt nichts. Entweder ist die Sicherung durc h geschmolzen, oder wir haben einen Stromausfall.«
    Johan klappte seine Taschenuhr auf, ein untrügliches Ze i chen seiner Verwirrtheit. »Was für einen Tag haben wir heute?«
    »Montag, der 12. Februar.«
    »Und es ist elf Uhr sechsundvierzig. Der Generalstreik! Ich war so im Gespräch vertieft …«
    »Ein Streik?«
    »Ja, hast du heute noch kein Radio gehört? Die Exekutive hat das Linzer Arbeiterheim nach Waffen durchsucht. Da r auf entschloss sich der Schutzbund zum gewaltsamen W i derstand. Die Kämpfe sollen bereits auf andere Landesteile übergegriffen haben. Jetzt wird der geplante Generalstreik zu einem Fanal.«
    »Hoffentlich stecken sie dabei nicht ganz Österreich in Brand«, brummte Nico voll dunkler Ahnungen. Inzwischen erinnerte er sich, dass Meister Johan von der Arbeitsniede r legung gesprochen hatte. In den eigenen vier Wänden red e te der überzeugte Sozialdemokrat unablässig von irgen d welchen politischen Aktionen und Entwicklungen, aber sein Lehrling konnte sich dafür wenig begeistern. Sicher, als die Nationalsozialisten im Dezember ‘32 Stinkbomben im Kaufhaus Gerngroß in der Mariahilferstraße geworfen ha t ten, fand er das noch ganz lustig. Aber dann hörte er, dass auch Tränengas im Spiel war und die Panik zahlreiche Ve r letzte gefordert hatte. Jede Nachricht vom Leiden anderer beschwor in Nico sofort die Erinnerungen an den schreckl i chen Todeskampf seines Vaters herauf.
    In den folgenden Monaten hatten sich die Nachrichten über weitere Rücksichtslosigkeiten gehäuft. Am 1. Mai 1933 ließ Bundeskanzler Dollfuß die Wiener Innenstadt durch Militär abriegeln, damit Johan Mezei und sein Cousin Moritz – ein sozialdemokratischer Schriftsteller – nicht zum traditionellen Tag der Arbeit aufmarschieren konnten. Mit Bangen hatten Lea und Nico auf die Rückkehr der beiden gewartet und waren erst wieder froh gewesen, als sie a bends unversehrt nach Hause kamen.
    In den Wochen darauf folgten die Verbote der Komm u nistischen Partei, der NSDAP und des steirischen Heima t schutzbundes. Im November kam es zur Wiedereinführung der Todesstrafe vor den Standgerichten. Und vor gerade drei Wochen, am 21. Januar 1934, hatte Dollfuß dem Uh r machermeister Mezei auch noch die Morgenlektüre verb o ten, indem er die Arbeiter-Zeitung aus dem Verkehr zog. Damit verfügte ein zorniger Johan Mezei täglich über ach t zehn Groschen mehr in der Börse – sonntags waren es s o gar vierundzwanzig –, die er ohne Zögern dem Widerstand gegen das ihm verhasste Dollfuß-Regime spendete.
    In Nicos Augen wurde Politik immer mehr zu etwas Schmutzigem, mit dem man Menschen ihrer Freiheit b e raubte und sie unglücklich machte. Mit seinen knapp fün f zehn Jahren wälzte er die Entscheidungen der Mächtigen und ihrer Opponenten nicht wie einen Hering lange in der Panade hin und her, sondern beurteilte das Geschehen in Stadt und Land mehr aus dem Bauch heraus. Und für das, was ihm Österreichs Bundeskanzler, Herr Doktor Engelbert Dollfuß, schon kurz nach Ausbruch des Generalstreiks a n tun würde, hatte der Uhrmacherlehrling Niklas Michel ü berhaupt kein Verständnis.
     
    Er warf sich von einer Seite auf die andere. Das Laken war verwühlt. Die Bettdecke lag irgendwo am Boden. Nico wusste nichts davon. Er spürte lediglich, wie sich in seinem Körper eine eisige, ihm nur allzu vertraute Kälte ausbreit e te. Unvermittelt hörte er ein leises Knarren. Sämtliche Hä r chen an seinem Körper richteten sich auf. Sofort saß er ke r zengerade im Bett.
    Bis auf den schwachen Schimmer der

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