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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Schutzbündler der Staatsgewalt eine Handhabe zur rigorosen Räumung der besetzten Arbeiterheime und Gemeindebauten. Aus dem Recht der Stände wurde über Nacht das Standrecht. Man sprach von Hunderten von Toten.
    Nicos Abscheu gegen den Machtapparat wucherte wie Unkraut, das ihm zunehmend die Luft zum Atmen nahm. Noch keine vierundzwanzig Stunden waren vergangen, als die Regierung unter Einsatz schwerer Waffen den Bürge r krieg beendet hatte. Doch auch an diesem 16. Februar 1934 konnten Rebellen, ob echte oder nur vermeintliche, stan d rechtlich hingerichtet werden.
    Nico widmete sich einer kleinen goldenen Taschenuhr, die der Frau eines christlich-sozialen Abgeordneten gehö r te. Der Lehrling wunderte sich schon längst nicht mehr über die seltsame Zwiespältigkeit seines Meisters. Im Herzen war Johan Mezei ein glühender Sozialdemokrat, aber hinter dem Ladentisch ein wohl kalkulierender Geschäftsmann.
    Etwa eine halbe Stunde verging, während der Nac h wuchs-Uhrmacher das kleine Kaliber in seine Einzelteile zerlegte. Plötzlich hörte er von der Porzellangasse her ein angestrengtes Motorengeräusch. Kurz darauf kamen vor dem Haus schlitternd Reifen zum Stehen. Nico schaltete die Arbeitslampe aus. Stiefel knallten auf dem Straßenpilaster. Man konnte hören, wie es in einer der Wohnungen nebenan klingelte.
    Der Junge schlich sich in den Laden und spähte durch das Schaufenster, gerade noch rechtzeitig, um mehrere bewaf f nete Soldaten des Bundesheeres ins Haus stürmen zu sehen. Davor wartete ein Armeelastwagen. Wen suchten sie? Doch nicht etwa …? Meister Johan hatte sich an den Unruhen nicht beteiligt. Die wenigsten im Haus wussten überhaupt, welche politische Gesinnung er hatte. Nein, diese Razzia musste einem anderen gelten. Nico zog sich wieder in die Werkstatt zurück. Besser, er mischte sich in die Sache nicht ein. Zu den Nachbarn unterhielt er sowieso keine engeren Beziehungen. Wenn sich im Haus irgendein Aufständler verkrochen hatte, dann war das nicht seine Angelegenheit.
    Bald drangen aufgeregte Stimmen dumpf aus dem Hau s flur herüber. Eine Frau begann zu schreien. Nico rann es eiskalt den Rücken hinunter. Die Haustür quietschte. Sie kamen wieder heraus. Er huschte abermals zum Schaufen s ter und sah die Soldaten wie ein Rudel grauer Wölfe, das sich um seine Beute scharte. Plötzlich erhaschte er einen Blick auf den Rücken eines kleinen Mannes. Dessen Haa r farbe ließ sich im schwachen Licht zwar nicht ausmachen, aber sein dichter Schopf besaß die Beschaffenheit von Stahlwolle. Nicos Herz verkrampfte sich. »Meister Johan!« Seine Stimme war nur ein Hauch.
    Es ging alles ganz schnell. Johan Mezei wurde auf die Ladefläche des Lastwagens gestoßen, einige Männer sti e gen auf, andere rannten die Porzellangasse hinab. Der Transporter fuhr los.
    Nach einer langen Schrecksekunde stürzte Nico aus dem Laden und spähte dem Fahrzeug hinterher. Nur noch die Rücklichter waren zu sehen. Mit einem Ruck fuhr er herum und rannte ins Haus. Schon nach wenigen Stufen, im Hoc h parterre, verlangsamten sich noch einmal seine Schritte, weil er dort eine sich leise schließende Tür bemerkte hatte. Es war die Wohnung »des Auges«, einer mürrischen Witwe namens Martha Hrdlicka, die sich zur Wächterin der Hau s ordnung berufen fühlte. Der Junge ließ ihren Ausguck links liegen und setzte rasch seinen Aufstieg in den dritten Stock fort.
    Atemlos erreichte er sein Ziel. Ein leises Wimmern kam aus der Wohnung des Uhrmachers. Die Tür war nur ang e lehnt. Vorsichtig drückte Nico sie auf. Auf dem Boden vor ihm kauerte Lea, die Beine unter ihrem zusammengesunk e nen Leib merkwürdig verdreht, als hätte das Entsetzen sie ihr weggeschlagen. Ihre Schultern bebten, und sie weinte haltlos.
    Nico kniete sich zu ihr und nahm sie in den Arm, um ihr den Trost zu vergelten, den sie ihm vor weniger als eine Stunde geschenkt hatte. Er wiegte sie an seiner Brust und merkte zum ersten Mal, wie klein und zerbrechlich diese Frau war, die ihm so oft mit ihrer Stärke über trübe Sti m mungen hinweggeholfen hatte.
    Beruhigend sprach er auf sie ein. »Wir bringen die Sache wieder in Ordnung, Tante Lea. Das kann nur ein Missve r ständnis sein. Johan hat niemandem etwas getan.«
    Sie hob den Kopf und sah ihn aus tränenverhangenen A u gen an. »Missverständnis? Das war kein Missverständnis, Junge. Jemand hat meinen Johan angeschwärzt. Weil er Sozialdemokrat ist. Und weil wir Juden sind.«
    »Glaubst du etwa, sie hat

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