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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Straßenbeleuc h tung, der sich am Vorhang vorbei ins Zimmer schummelte, war es völlig dunkel. Von der Porzellangasse drang das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos herauf. Nicos Augen suchten den Raum ab. Und dann sah er ihn: seinen Vater.
    Der Schemen stand unbeweglich in der Nähe des Fen s ters, sodass genügend Licht auf ihn fiel, um den Dolch in seiner Brust erkennbar zu machen. Sein weißes Hemd war vom herabrinnenden Blut schwarz gefärbt.
    »Warum hast du mir nicht geholfen?«, fragte Emanuele dei Rossi. Seine Stimme klang weder vorwurfsvoll noch zornig. Sie war so tonlos wie die Komplet, das Nachtgebet der Mönche, die Nico seinerzeit bei sich aufgenommen hatten.
    Der Junge verspürte das unbändige Verlangen zu fliehen. Als könne sein Blick den Vater an Ort und Stelle bannen, starrte er diesen an und schob sich zugleich aus dem Bett. Dann begann er zu laufen, immer weiter, immer schneller. Die Wände seines Zimmers hatten sich aufgelöst, und er rannte durch einen Nebel, der ihm jede Orientierung raubte. Als er sich umdrehte, war der Mann mit dem Stilett in der Brust immer noch da. Langsam schritt er hinter dem Fli e henden her und kam doch immer näher.
    Nico beschleunigte noch einmal das Tempo, obwohl er längst wusste, wie aussichtslos sein Entkommen war. Mit einem Mal spürte er eine Hand auf der Schulter und blieb wie festgefroren stehen. Einen Wimpernschlag später sah er sich seinem Vater gegenüber, der ihn aus leeren Augenhö h len ansah.
    Die Hand des Uhrmachermeisters lastete immer noch wie ein schwerer Eisblock auf der Schulter seines Sohnes. Nico versuchte sie fortzustoßen, aber auch das gelang ihm nicht. Eine klare Kristallwand trennte den Toten vom Lebenden. Nur die Hand des Ermordeten hatte aus unerklärlichem Grund die Barriere durchstoßen können. Wollte sie den Verräter an der Flucht hindern?
    Und dann schlug Emanuele dei Rossi seinen Kopf gegen die glasklare Wand. Nico sah, wie die Haut an der Stirn seines Vaters aufplatzte, und schrie. Immer wieder und von Mal zu Mal heftiger hämmerte der Uhrmacher seinen Sch ä del gegen den Kristall. Nico kreischte vor Entsetzen, aber das grauenhafte Hammerwerk kam nicht zur Ruhe. Die durchscheinende Trennwand verwandelte sich in einen blutroten Vorhang. Bis die Hand auf Nicos Schulter ihn nach vorne zog …
    »Junge, wach auf!«
    Der Gerufene öffnete die Augen und blickte in Meister Johans Gesicht. Neben dem Uhrmacher stand seine Frau.
    »Du hast wieder geträumt«, sagte Lea sanft.
    Nico war in Schweiß gebadet. Ach ja, der Albtraum! Wie ein Schatten hatte er ihn von Nettuno nach Rom, anschli e ßend durch ganz Italien und zuletzt bis nach Wien begleitet. »Entschuldigt, dass ich euch geweckt habe.«
    Lea setzte sich zu ihm auf die Bettkante und drückte ihn an ihre Brust. »Wenn ich dir nur irgendwie helfen könnte!«
    »Ich habe am Montag schon mit ihm darüber gesprochen, aber es hat wohl nichts genützt«, maulte ihr Mann.
    »Nebbich, Johan! Als wenn damit seine Seele geheilt w ä re. Der Junge braucht Zeit.«
    »Aber genau das habe ich ihm gesagt.«
    »Und Liebe.«
    »Willst du damit behaupten, ich …«
    »Du bist eben manchmal ein Klotz, Johan.«
    »Es geht schon wieder, Tante Lea«, wehrte sich Nico g e gen ihre Umklammerung.
    Sie gab ihn wieder frei. »Besser?«
    Er nickte. »Ich muss mal ins Bad.«
    »Geh nur, Junge. Du bist ganz nass geschwitzt. Und ve r such, noch ein bisserl zu schlafen. Es ist nicht mal vier.«
    Johan und Lea Mezei verfügten über den Luxus eines e i genen Badezimmers. Dorthin floh Nico vor den beiden. Ihm war es unangenehm, dass er die herzensguten Me n schen immer wieder mit seinem Geschrei aus der Nachtr u he riss. Nachdem er etwas Wasser getrunken und sich e r frischt hatte, waren sie längst wieder im Bett. Nico b e schloss, in die Werkstatt hinunterzugehen. Schlafen konnte er sowieso nicht mehr.
    Johan Mezeis Uhrenladen befand sich im selben Haus wie ihre Wohnung. Den Eingang erreichte man jedoch nur über die Straße, weil die angrenzende Wohnung anderweitig vermietet war. Ein großes Schaufenster in der Porzellanga s se lockte potenzielle Kunden an. Die eigentliche Werkstatt lag im einzigen Hinterzimmer des Geschäfts. Nachdem der Junge sich angezogen hatte, schlich er in den Hausflur hi n aus.
    Bereitwillig sprang das Licht an. Der Generalstreik war Schnee von gestern. Die ihn begleitenden Kämpfe hatten sich innerhalb von Stunden zu einem landesweiten Bürge r krieg ausgeweitet. Damit gaben die

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