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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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…?«
    »Natürlich war’s das Auge. Die Hrdlicka geifert doch ständig gegen uns.«
    »Aber das wissen wir nicht«, widersprach er schwach. »Bestimmt liegt da ein Irrtum vor. Du wirst sehen, zum Frühstück ist Meiser Johan wieder zurück.«
    Ein Zittern ging durch Leas Körper. »Ich habe solche Angst, Nico!«
    »Ich auch. Aber …«
    »Aber es herrscht immer noch das Standrecht. Wenn sie ihn nun abgeholt haben, um ihn zu erschießen …« Sie schüttelte schluchzend den Kopf. »Dann will ich auch nicht mehr weiterleben.«
      
      
      
8. KAPITEL
Der Beobachter
     
    Anzio, 1939
     
    In der Nacht zum 4. September ging Merkwürdiges im Reich von Massimiliano Manzini vor. Der Mond ließ die Ränder der vorüberziehenden Wolken glühen. Ein frischer Wind wehte vom Meer herüber. Nico war spät aus der Villa Adele, dem in einem herrlichen Park gelegenen Excelsior Palace Hotel von Anzio, zurückgekehrt, wo er im Salon eine antiquarische Uhr repariert hatte. Als er auf seinem weißen Motorrad die Stadt durchquerte, sah er am Straße n rand einen kleinen dreirädrigen Lastwagen stehen. Zwei Männer mit dicken Handschuhen entfernten sich gerade von dem Fahrzeug. Einer trug einen Sack, der andere einen langen Stock mit einer Schlinge am Ende. Sie bewegten sich langsam, wie zwei Jäger auf der Pirsch, was unweige r lich die Aufmerksamkeit des vorbeifahrenden Beobachters erregte.
    Nico kreuzte die Straßenbahnschienen, um in eine Seite n gasse einzubiegen. Hier ließ er Albino stehen und schlich sich zur Hauptstraße zurück. Laternen, die an Drähten über der Fahrbahn hingen oder mit schmiedeeisernen Haltern an den Hauswänden befestigt waren, tauchten die breite Straße in ein gelbes Licht. Vorsichtig streckte er den Kopf um die Ecke. Noch ehe er die Situation erfasst hatte, hörte er ein schauderhaftes Kreischen. Es klang alles andere als menschlich.
    Die zwei Männer befanden sich vor einem Ladeneingang. Fänger Nummer eins stand vornübergebeugt, den ausg e breiteten Jutesack in beiden Händen haltend, während Jäger zwei mit der schreienden Kreatur kämpfte. Nico vermochte das Tier nicht zu sehen, aber so wie die »Angel« im Griff des Häschers ruckte, musste es in der Schlinge hängen und sich heftig wehren. Dem Geräusch nach konnte es nur eine Katze sein.
    Der heimliche Beobachter schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann macht er ‘s tatsächlich wahr«, flüsterte er. Im A u gust hatte der Stadtvorsteher eine absurde »Aufklärung s kampagne für die Volksgesundheit« ins Leben gerufen. Mit Aushängen und Flugblättern waren die Bürger von Anzio und Nettuno über die Gefährlichkeit schwarzer Katzen b e lehrt worden. Glaubte man der amtlichen Information, dann hatte die Wissenschaft Folgendes herausgefunden: Insb e sondere schwarze Kater und Kätzinnen seien Überträger gefährlicher Krankheiten. Das dunkle Fell der Tiere bedi n ge eine stärkere Wärmeabsorption, und die wiederum ließe gefährliche Keime wie in einem Brutkasten sprießen. De s halb hätten die Gemeinderäte dem Antrag des Podestà stattgegeben, demzufolge schwarze Katzen in der gesamten Gemarkung des zukünftigen Nettunia einzufangen, zu töten und zu verbrennen seien.
    Der Mann mit dem Sack warf sich nach vorn. Das Kre i schen schwoll noch einmal an, Ein lautes »Autsch!« misc h te sich dazwischen. Dann raste ein schwarzer Blitz aus dem Ladeneingang heraus, über die Straße hinweg und ve r schwand in einem dunklen Durchgang.
    »Das Biest ist mir ins Gesicht gesprungen«, jammerte e i ner der beiden Häscher.
    »Selbst schuld, wenn du die Schlinge so locker lässt. Sei froh, dass der kleine Teufel dir nicht die Augen ausgekratzt hat.«
    »Du hast gut lachen, Dino! Irgendwann erwische ich den stinkenden schwarzen Unglücksbringer, und dann zieh ich ihm das Fell über die Ohren.«
    Nico beobachtete die beiden dabei, wie sie ihr Fahrzeug bestiegen und davonfuhren. Wie viele Säcke mit kleinen verängstigten Todeskandidaten lagen wohl schon auf ihrer Ladefläche? Man mochte ihn als Doktor der leblosen Dinge kennen, aber das machte in keineswegs gefühllos gegen das Leid unschuldiger Kreaturen. Manzinis Aberglaube wuchs sich allmählich zur Psychose aus.
    Voll düsterer Gedanken kehrte Nico zum Motorrad z u rück und setzte den Heimweg fort.
     
    Am Samstagmorgen, fünf Tage nach dem Auftakt zur gr o ßen Katzenhatz, fand Nico unter der Tür seiner Kammer einen zusammengefalteten Zettel. Die Nachricht stammte von Bruno. Seit dem Einmarsch

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