Der Herr der Unruhe
r reichs war mit einem großen Empfang für Adolf Hitler g e feiert worden. Kardinal Innitzer gehörte zu den Ersten, die dem Diktator den Deutschen Gruß entboten hatten. Seine Eminenz wies zudem alle österreichischen Kirchen an, die Hakenkreuzfahne zu hissen, die Kirchenglocken zu läuten und für den Führer zu beten.
Was wohl aus dem Benediktiner geworden war? Die Fr a ge trieb wie eine rote Boje aus Nicos Unterbewusstsein empor, als er das Bild der Peterskirche auf der Leinwand flimmern sah. Ob das neue Kirchenoberhaupt sich ebenfalls des Rates von Lorenzo Di Marco bediente? Bestimmt wäre Eugenio Pacelli, wie der Papst mit bürgerlichem Namen hieß, gut damit bedient.
Der Projektor spuckte bereits neue Bilder aus. Das Publ i kum war es gewohnt, im Laufe der Berichterstattung mehrmals den Duce vorgesetzt zu bekommen. So auch jetzt, als Benito Mussolini seine Beteuerung bekräftigte, dass Italien »nicht Krieg führend«, weil nicht kriegsbereit sei. An einen Waffengang sei vor 1942 nicht zu denken. Vielleicht steckte ihm noch die wenig ruhmreiche Teilna h me am Spanischen Bürgerkrieg in den Knochen, dachte Nico.
Beim nächsten Schnitt glaubte er unter den Zuschauern Verwirrung auszumachen – zahlreiche Köpfe rückten z u sammen und tauschten getuschelte Bemerkungen aus. Mit der soeben beteuerten militärischen Abstinenz passten die Bilder von den italienischen Besatzungstruppen fürwahr nicht gut zusammen. Um dem Publikum das ausdauernde Streiten des Duce für die italienischen Interessen auf der östlichen Seite der Adria nahe zu bringen, brachte der Kommentator eine Konvention zur Sprache die Mussolini bereits am 20. Juli 1925 unterzeichnet hatte.
Mit einem Mal war das Forte Sangallo auf der Leinwand zu sehen. Nicos Kopf ruckte nach vorn. Seine linke Hand stützte sich gegen die Wand neben dem Guckloch, die rec h te lag auf dem Gehäuse des Projektors. Die nächsten Szene zeigte, in brüderlicher Umarmung mit dem Duce, Massim i liano Manzini.
Und dann blieb der Projektor stehen.
Ein ganzer Schwarm von Gedanken schwirrte zugleich durch Nicos Kopf. Was suchte Manzini an der Seite Muss o linis? War es etwa doch mehr als ein Gerücht, was die Le u te sich über ihren Podestà erzählten? Es hieß, er habe dem Duce in den Jahren seines politischen Aufstiegs ein paar »Gefallen« getan. Bisher hatte Nico dabei immer an gro ß zügige Spenden gedacht.
»Verflixt! Die Kiste weigert sich, weiterzulaufen«, schimpfte Ennio.
Die beiden Kameraden auf der Leinwand verfärbten sich zuerst braun, dann schwarz, und zuletzt brannten sie durch. Die Filmspule drehte sich weiter.
»Besser, ihr verschwindet, bevor der direttore kommt und mir die Hölle heiß macht«, empfahl der Vorführer.
Nico nickte nur und wandte sich dem Ausgang zu.
»Entschuldige, Ennio«, sagte Laura. Sie klang merkwü r dig bedrückt.
»Wieso? Ihr könnt ja nichts dafür. Außerdem passiert das alle naselang. Macht’s euch im Saal bequem. Ich flicke schnell den Film, und dann geht’s weiter.«
Nachdem Laura die Tür des Vorführraumes hinter sich geschlossen hatte, bedachte sie Nico mit einem ernsten Blick. »Bist du das gewesen?«
»Was?«
»Jetzt tu nicht so. Der Projektor! Hast du ihn angeha l ten?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ich sage nur ein Wort: Fahrradkette.«
Er hob die Schultern und druckste: »Vielleicht war ich ‘s. Manchmal passiert mir so etwas, ohne dass ich mir dessen richtig bewusst bin. Ich kann es wirklich nicht sagen.« Voll Sorge bemerkte er, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten.
»Warum hasst du meinen Vater, Niklas?«
Sein Kinnladen fiel herunter. Wie hatte sie das nun wieder bemerkt? Ein Wirbelsturm raste durch seine Gefühle und hinterließ eine Schneise der Verwüstung. Er fühlte sich gespalten zwischen diesem Mädchen, das er nicht verlieren wollte, und ihrem Vater, dem er den Tod wünschte. Seine Antwort klang lahm.
»Ich war überrascht, als plötzlich das Forte Sangallo und dann auch noch unser Podestà auftauchte. In der Woche n schau! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen …«
» Basta ! Hör endlich damit auf, Niklas.« Sie stach meh r mals mit dem Zeigefinger auf ihre Brust ein, als wolle sie damit Harakiri begehen. »Hier drin, in meinem Herzen, fühle ich, dass du mir etwas verschweigst. Ich habe gehofft, deine Zweifel, worin immer sie bestehen, würden sich durch unsere Freundschaft verflüchtigen, aber du warst nie aufrichtig zu mir, bis heute nicht.«
Er breitete
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