Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
bei ihm unter und flüsterte in sein Ohr: »Hast du Lust, heute mit mir ins Lichtspielhaus zu gehen?«
    Immer wenn sie ihm so nahe war, spürte er einen wohl i gen Schauer. Trotzdem gab er zu bedenken: »Ich habe mal dem automatischen Klavier, das dem Besitzer des Cinema Arena Italia gehört, die Flötentöne beigebracht. Er wird mich bestimmt …«
    »Für wie einfältig hältst du mich eigentlich?«, fiel sie ihm, scheinbar empört, ins Wort. »Mir ist schon klar, dass wir nicht hier in Nettuno durch die Via Romana bummeln oder ins Cinema Sangallo gehen können, ohne dass uns mindestens die Hälfte der Zuschauer erkennt. Wir werden uns einen schönen Abend in Anzio machen.«
    »Hm. Was für einen Film gibt’s?« Eigentlich war ihm das völlig egal, denn bisher hatte er Laura noch nie ausführen dürfen.
    »Einen deutschen. Ich dachte mir, das gefällt meinem Auswanderer vielleicht. Der Streifen ist von Willi Forst und heißt Bel ami. Olga Tschechowa und Ilse Werner spielen mit.«
    »Klingt interessant.«
    Sie stieß ihm in die Rippen. »Nein, tut es nicht. Ich durchschaue dich, du Lügner. Aber wenn du mit mir nach Anzio fährst, würde ich mich trotzdem freuen. Ich kenne den Filmvorführer.«
    »Ach! Woher?«
    »Er ist der Stiefvater meiner Halbschwester.«
    Nico unterdrückte ein Lachen. »Die Frage hätte ich mir sparen können.« Für diese Bemerkung bekam er einen we i teren Stich in die Seite.
     
    Das Paar traf sich in der Abenddämmerung an der Au f fahrt zur Villa Borghese, weit genug entfernt vom Palazzo Ma n zini, um nicht von Uberto oder einem der anderen Hausa n gestellten gesehen zu werden. Laura kam mit dem Fahrrad. Ihr weit schwingendes rotes Kleid und ein Haarreif im se l ben Farbton bildeten einen atemberaubenden Ko n trast zu ihren langen schwarzen Locken. So elegant sie sich oft zu kleiden wusste, erinnerte sie an diesem Abend mit ihren weißen Söckchen in den schwarzen Lackschuhen eher an ein Mädchen beim Sonntagsausflug. Sie ließ ihr Fahrrad an einem Baum stehen, hängte sich ihren schwarzen Card i gan sowie die Handtasche über den Unterarm und lief ve r schmitzt lächelnd zu dem sehr aufgeregten jungen Mann, der sie neben seinem weißen Motorrad erwartete.
    Auch Nico hatte sich in Staat geworfen. Er trug eine graue Hose, ein kurzärmeliges weißes Hemd und darüber ein schwarzes Jackett, alles eigenhändig mit dem Bügele i sen geglättet. Nur seine Stirn lag in Falten. »Was hast du deinem Vater gesagt?«, begrüßte er Laura.
    »Nichts. Er arbeitet noch.«
    »Aber er wird doch nach dir fragen.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher. Seit meine Mutter in di e sem Schweizer Sanatorium ist, hat er höchstens dreimal ihren Namen fallen lassen. Vielleicht bin ich ihm auch e gal.«
    »Den Eindruck habe ich aber nicht.«
    »Uberto weiß, dass ich bei Freunden bin. Fahren wir?«
    »Ist ja schon gut. Ich will nur nicht, dass du meinetwegen Schwierigkeiten bekommst. Setz dich hinter mich.«
    Er bestieg seinen getreuen Albino. Laura nahm hinter ihm Platz. Als ihre Hände sich um seinen Leib schlangen, schien in seinem Herzen eine größere Anzahl Böller zu explodieren.
    »Gut so?«, fragte sie. Ihre Wange lehnte an seinem R ü cken.
    »Ja«, antwortete er mit belegter Stimme. »Bestens.«
    Ohne allzu viel Eile lenkte er das Motorrad in jenen Stad t teil des zukünftigen Nettunia, der sich nur noch wenige Tage lang Anzio nennen durfte. Das Kino lag unweit der Piazza Pia, dem von einer Kathedrale und prächtigen Pala z zi geschmückten Herzen der Stadt.
    Es war ein lauer Spätsommerabend. Von überall her drang das weiche Licht von Cafés und kleinen Bars ins Freie und täuschte über die wirtschaftlich schwierige Lage der Bevölkerung hinweg. Es gab immer noch Leute, die sich einen Espresso oder einen Amaretto leisten konnten.
    Nachdem Nico das Motorrad abgestellt hatte, nahm Laura seine Hand. Er hätte schwören können, in seinem Körper ein paar weitere Explosionen wahrzunehmen.
    »Das Programm beginnt erst um acht«, sagte sie. »Lass uns noch ein bisschen durch die Stadt schlendern.«
    »Du bist die Tochter des Podestà. Wenn mich jemand mit dir Händchen halten sieht, bin ich geliefert.«
    »Meinst du, mein Vater wird pfleglicher mit dir umgehen, wenn wir nur nebeneinander spazierend gesehen werden?«
    Seine Finger schlossen sich fester um ihre Hand, und er lächelte, wenn auch noch ein wenig unsicher. »So groß wird der Unterschied nicht sein.«
    Rechtzeitig vor Programmbeginn erreichten sie

Weitere Kostenlose Bücher