Der Herr der Unruhe
häufiger an Lauras Seite pflegen.«
Der Stadtvorsteher verabschiedete sich geradezu b e schwingt vom Hüter seiner Lebensuhr.
Schon der römische Kaiser Augustus hatte sich die Treue seiner Soldaten erkauft, indem er ihnen Land gab, das er zuvor dem Adel abgenommen hatte. Benito Mussolini machte keinen Hehl daraus, dass er sich als Nachfolger des »Erhabenen« sah. Dem Gerücht nach wollte er sich, wenn einmal seine Stunde käme, sogar im Augustus-Mausoleum zur ewigen Ruhe betten lassen. Ob Wahrheit oder Legende, die Pontinischen Sümpfe hatte er in den Jahren nach 1928 tatsächlich trockengelegt – halbwegs. Wer hier lebte, der wusste, dass die Malaria noch nicht ausgerottet war, wie die faschistische Propaganda vortäuschte, aber zumindest hatte man die Infektionen um die Hälfte reduziert. Wenn die Krankheit also früher so gut wie jeden befiel, der sich in dem Gebiet längere Zeit aufhielt, so gab es jetzt wenigstens eine nahezu fünfzigprozentige Chance, von dem Erreger verschont zu werden.
»Gegen die Mücken kannst du dich schützen«, sagte eine etwa sechzigjährige Witwe aus Nettuno zu Nico, nur wen i ge Stunden nachdem Don Massimiliano den »Bannspruch« über ihn verhängt hatte. Für alle in der Stadt hieß sie nur »Signora Tortora«. Neben dem Vornamen schien es ihr auch an manch anderem zu mangeln das eine Dame g e meinhin ausmachte. Die Tortora war als ungesellige Vettel verschrien, unordentlich und mit ihren um die Knie geri n gelten Seidenstrümpfen als Verkörperung der Schlampi g keit stadtbekannt. Nico hielt die in der Altstadt, am Ende der Via Veneto wohnende Frau allerdings für ein Phän o men, nicht nur weil sie sechs verschiedene Sprachen b e herrschte. Er gehörte zu den Wenigen, die ihre Zuneigung genossen, da er schon mehrmals das lahmende Pendel ihrer Standuhr in Schwung gebracht hatte. Seine Eroberung sol l te sich noch als nützlich erweisen, nicht allein weil er dank ihres »alten Hausmittels« beruhigter gegen die blutrünst i gen Schwärme ausziehen konnte.
Einen Nachteil hatte die schwarzbraune, ölige Substanz allerdings. Ihr übler Gestank hielt mehr als nur stechende Insekten fern. Selbst wenn er sich abends mit der Wurze l bürste abschrubbte, bekam er den Geruch nie ganz aus der Haut. Nico selbst fühlte sich zwar frisch und rein, aber s o bald er am Morgen im Palazzo Manzini erschien, rümpfte jeder – selbst der sonst so dickhäutige Uberto – die Nase.
Laura schüttelte sich regelmäßig, wenn der »Gymnasti k lehrer von Papàs Lebensuhr« sie begrüßte. Er wusste nie so recht, ob sie ihn mit ihrer heftigen Reaktion nur aufzog. Obwohl es im Arbeitszimmer ihres Vaters ohnehin ständig nach Zigarrenqualm roch, verteilte sie mit Wonne ganze Wolken ihres Jasminparfüms über seinen Körper. Nico trug diese Unbilden mit Fassung, wenn er nur wieder öfter in ihrer Nähe sein durfte. Und so blühte, während die Natur ihre volle Pracht entfaltete, auch die Liebe der zwei jungen Menschen immer weiter auf.
Es waren sonnige Wochen, die der Ruhe vor einem Sturm glichen. Mussolini hatte ja eine Beteiligung Italiens an dem Krieg nicht vor 1942 in Aussicht gestellt. Aber nun gingen Gerüchte um, dass die raschen Erfolge der Deutschen Wehrmacht Begehrlichkeiten in ihm weckten. Polen war innerhalb eines Monats überrannt worden. Nun, im April 1940, wurde Dänemark besetzt, und Norwegens völlige Eroberung war nur noch eine Frage der Zeit. Konnte Benito Mussolini der Versuchung widerstehen, sich bei der Verte i lung des Bratens einige Filetstücke zu sichern? Würde der Wankelmut des Duce erneut in einen Wortbruch umschl a gen?
Sah man einmal von den wirtschaftlichen Sorgen der Le u te ab, dann bot das kleine Reich von Nettunia im Mai 1940 noch ein friedliches Bild. Der Krieg schien in einer anderen Welt zu toben. Die Sonne stach bereits wie im Sommer, die Römer kamen, um sich am Strand zu vergnügen, und auch das Verhältnis zwischen dem Doctor Mechanicae und se i nem Vorgesetzten war überwiegend heiter – man b e schränkte sich auf ein gegenseitiges Belauern. Es kam Nico zwar nicht in den Sinn, für Don Massimiliano Propaganda zu machen, aber er verordnete sich etwas mehr Zurückha l tung, wenn die Menschen ihn um technische Hilfe baten und er sie als Entschädigung für seine Gefälligkeiten über den Podestà ausfragte. Bisher hatte ihm diese Art von E r mittlungen ohnehin wenig eingebracht. Wenn es Zeugen für irgendwelche ungesetzlichen Machenschaften Manzinis gab,
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