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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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dann standen diese vermutlich in dessen Sold. Oder sie waren tot.
    »Fährst du mit mir am Sonntag nach Genzano?«, wisperte Laura kurz vor Ende der vierten Maiwoche. Ihr Atem stec k te Nicos Ohr in Brand. So viel Vorsicht war eigentlich nicht nötig, denn wie immer, wenn die zwei am Besprechung s tisch im Arbeitszimmer saßen, sprachen sie Deutsch mi t einander; Uberto, der draußen auf der Galerie herumlunge r te, konnte sie also ohnehin nicht verstehen.
    »Willst du, dass dein Vater mir wieder die Hölle heiß macht?«, fragte Nico.
    Auf ihrer Nase bildeten sich kleine Fältchen. »Wir kö n nen ja diesmal etwas vorsichtiger sein.«
    Nico war hin und her gerissen. Vielleicht bot sich bei dem Ausflug ja die Gelegenheit zu einem offenen Gespräch. Irgendwann musste er ihr die Wahrheit sagen. »Warum ausgerechnet Genzano?«
    »Das ist wieder mal typisch für dich«, gab sie sich entrü s tet »Ich habe dich noch nie in der Kirche gesehen. Bist du Kommunist?«
    »Nein, bin ich nicht. Mein Meister in Wien war Sozia l demokrat, und er hat auch mit einigen Ideen der Komm u nisten sympathisiert – aber was hat das mit der Spritztour in die Albaner Berge zu tun?«
    »Sonntag ist der 26. Mai.«
    »Na so was.«
    Laura stieß ein glockenhelles Lachen aus. »Corpus Chri s ti, du Dummerchen! Feiert man es ihn Wien nicht schon heute?«
    »Am Donnerstag? Ach, du meinst Fronleichnam !«
    Sie verdrehte die Augen. »Guten Morgen! Für Wunder hast du wohl nicht viel übrig.«
    »Wieso?«
    »Beim Abendmahl wird das Brot durch ein Wunder in den Leib des Herrn verwandelt und der Wein in sein Blut.«
    Nico schluckte. Dieser Teil der christlichen Lehre hatte ihm immer Unbehagen bereitet; im Judentum gehörte Ka n nibalismus zu den Todsünden.
    »Wir könnten gegen halb elf losfahren«, schlug Laura vor, »wenn dein Dienst hier beendet ist. Pilger aus dem ganzen Land strömen zu der Prozession nach Genzano di Roma.«
    »Klingt nach einem beschaulichen Nachmittag.«
    Sie machte einen Schmollmund. »Wäre das hier ein Wettbewerb in Begeisterung, würdest du glatt den letzten Platz belegen.«
    Nico fühlte, wie sein Herz sich verkrampfte, während es gleichzeitig heftig zu schlagen versuchte. An dem Festzug lag ihm nichts. Aber möglicherweise wäre Lauras entspan n te Stimmung und die Anonymität der Masse genau der ric h tige Rahmen, um ihr ein paar schmerzliche Dinge zu sagen. Er nickte.
    »Also schön. Ich fahre mit dir dahin.«
     
    Sie trafen sich an der Landstraße, die wie der Griff einer Hantel die beiden Teile der Zwillingsstadt verband. Die s mal hatte Laura ihr Fahrrad hinter einem Busch versteckt, um jede zufällige Entdeckung auszuschließen. Allein ihr Anblick nahm Nico fast jeden Mut. Sie trug ein leichtes cremefarbenes Kleid, das mit blauen Blümchen übersät war. Wenn die Sonne hindurchschien, konnte er ihre Beine sehen. Nachdem er vom Motorrad gestiegen war, legte sie ihre Hände um seinen Hals und küsste ihn.
    »Ich freue mich so!«
    »Ja.«
    »Was ist mit dir?«
    »Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache.«
    »Dann werde ich mir Mühe geben, das zu ändern.« Sie küsste ihn ein zweites Mal.
    »Hast du eine Jacke dabei? Für die Rückfahrt, meine ich.«
    »Alles da drin.« Sie deutete auf eine geflochtene Tasche, deren Henkel über ihrer Schulter hing.
    »Na, dann nichts wie los.«
    Laura setzte sich eine dunkle Sonnenbrille auf, band sich ein blaues Kopftuch um und stieg hinter Nico auf das M o torrad. Ihre Hände legten sich auf seine Brust. Schnell trat er das Anlasserpedal, und Albino sprang wie ein übermüt i ges Fohlen an.
    Mit dezentem Röhren trug der eiserne Hengst die beiden durch Anzio hindurch, ungefähr dreißig Kilometer weit in die Albaner Berge hinauf.
    In Genzano di Roma herrschte schon am Mittag ein reges Treiben, obwohl die Corpus-Christi-Prozession erst auf den frühen Abend angesetzt war. Eine Weile spazierte das Paar Hand in Hand durch die Stadt. Nico wiederholte in Geda n ken noch einmal die Worte, die er sich in der ersten Hälfte der Woche zurechtgelegt hatte, und Laura schleckte Ei s creme. Mit einem Mal standen sie vor einem Wunder.
    »Da staunst du, was?«, sagte Laura schmunzelnd.
    Große Augen wandten sich ihr zu. Er nickte. Dann kehrte sein Blick zu der breiten Straße zurück, die schnurgerade einen Hügel hinaufführte und oben vor einer weißen Ki r chenfassade endete. Das Pflaster war, abgesehen von einem schmalen Gehweg zu beiden Seiten, mit Blumen übersät. Aber nicht wahllos, als

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