Der Herr der Unruhe
sieben Minuten nach acht. Das im Palazzo Manzini anberaumte Versöhnungsgespräch zwischen Don Massimiliano und einem ranghohen Vertreter des örtlichen Oberkommandos der Wehrmacht hatte also bereits begonnen. Nico wollte das gesellige Zusammensein der beiden mit einem Feuerwerk krönen. Als passenden Ort dafür hatte er den Keller des Hauses auserkoren.
Leise durchsuchte er die verschiedenen Gewölberäume nach
den bewussten Kisten. Der von Doktor Montis Radio ausge-
plauderte Hinweis stammte von keinem anderen als von Guido Valletta. Manzini hatte den Korporal austauschen lassen, ihn gedemütigt und für seine Degradierung gesorgt, aber die Macht des »Gouverneurs« reichte offenbar schon nicht mehr aus, um Valletta vor ein Exekutionskommando zu bringen. Die Führung der paramilitärischen Banda Koch setzte den binnen Stunden von dem Verdacht der Tuberkulose Befreiten jetzt in der lokalen Partisanenjagd ein. In dieser Eigenschaft besuchte er auch den deutschen Funker und klagte ihm sein Leid über die Undank-barkeit des »Gouverneurs« sowie die Inkompetenz des deutschen Stabsarztes – Doktor Sägemüller habe seine Fehldiagnose mit der Röntgenaufnahme gerechtfertigt und sich danach an die Südfront abgesetzt. Valletta ahnte nicht, dass ein sich unverstanden fühlendes Mikrofon jedes Wort an einen geduldig zuhörenden Freund in unmittelbarer Nachbarschaft verschickte.
Irgendwann war das Gespräch der Militärs auf die im Palazzo Manzini herumliegenden Raketen, Knallkörper und das ben-galische Feuer gekommen. Die pyrotechnischen Leckerbissen waren eigentlich als Geschenk des Podestà zu Ehren der Festa della Nostra Signora delle Grazie angeschafft worden. Die jährlich am ersten Samstag im Mai stattfindende Prozession gehörte zu den absoluten Höhepunkten im Stadtkalender. Mit dem
Lichtspektakel hätte Manzini bei der Bevölkerung von Nettunia etliche Pluspunkte eingeheimst. Aber dann kam der Krieg und kurz darauf die behördlich angeordnete Verdunkelung. Der Umzug wurde auf die Tagesstunden vorgezogen. Schon der Ge-428
danke an eine nächtliche Illumination grenzte an Sabotage und Landesverrat.
Nachdem Nico den Lagerraum gefunden hatte, war der Rest
ein Kinderspiel. Er ordnete einige Raketen in Sternformation an, verdrillte und verlängerte ihre Zündschnüre, verband das Ende mit einem primitiven »Zeitzünder« aus einem Kerzenstummel und zog sich lautlos zurück.
Jetzt – nur wenige Minuten waren seitdem vergangen – war-
tete er in seinem Versteck an der Piazza Umberto I. darauf, die Früchte seiner Arbeit ernten zu können.
Gegen zwanzig Uhr dreißig kam Licht und Leben auf die
dunkle Bühne. Mit mehreren Fahrzeugen rückte eine Mann-
schaft deutscher Pioniere an, um sich des Brandes anzunehmen, der noch gar nicht ausgebrochen war. Signora Tortora hatte die Freundlichkeit besessen, Nico diesen Anruf abzunehmen. Er wollte nicht, dass Laura oder den anderen Einwohnern des Hauses etwas passierte.
Der Reihe nach erschienen an der Hauptpforte des Palastes das Dienstmädchen Viola, dann Uberto Dell’Uomo, danach Massimiliano Manzini und zuletzt der Oberst, der als Einziger über die Befehlsgewalt verfügte, die hartnäckig auf ihre Löschaktion bestehenden Pioniere heimzuschicken. Als sie gerade wieder abrücken wollten, begann das Feuerwerk.
Zu sehen war für den heimlichen Beobachter am dunklen
Fenster natürlich nichts, aber die unüberhörbaren Explosionen dauerten ungefähr fünf Minuten. Erst danach traute sich das Lösch- und Räumkommando in die Nähe des Feuers. Die Ge-wölbe unter dem Palazzo waren dick. Das Haus überstand den Vorfall unbeschadet, aber der Ruf seines Herrn bekam neue Risse.
Wütend ob der Gefahr, in die ihn Manzini gebracht hatte, verließ der Oberst den Palast.
»Durch Ihre Unvorsichtigkeit hätten Sie mich fast umge-
bracht«, hörte Nico den Offizier auf der Straße brüllen.
»Ich kann nichts dafür, Oberst Kaltenreutter«, beteuerte der Hausherr. »Das waren die Partisanen.«
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»Das glaube ich Ihnen sogar, Signor Manzini. Die Resistenza spaziert in Ihrem Haus ein und aus. Sie bereitet Anschläge auf Offiziere der Wehrmacht vor. Und Sie haben angeblich nichts davon gewusst! Die Sache wird ein Nachspiel haben.«
Der Oberst kletterte in einen Kübelwagen und fuhr ohne deutschen Gruß davon.
Nico lächelte. Es war Zeit zu gehen. In wenigen Minuten
würden Einheiten der Wehrmacht die leeren Häuser des Viertels durchkämmen. Lautlos wie ein Schatten zog
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