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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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Er kaute ein Weilchen an seinem Schnurbart herum. »Hat sie dir je erzählt, was passiert ist, bevor du sie gefunden hast? Was aus ihrer Familie wurde? Wie sie auf der Straße überlebt hat?«
    »Ich habe sie nie danach gefragt. Ein so kleines Kind … und dann noch ein Mädchen …« Dabei ließ ich es bewenden, denn mir stand nicht der Sinn danach, die Angelegenheit weiter zu erörtern.
    Er nickte. Offenbar hatte er dieselben grässlichen Gedanken wie ich. »Gehst du noch zu ihr, bevor du aufbrichst?«
    »Ja.«
    »Sei freundlich zu ihr. Du weißt, was sie für dich empfindet.«
    Das war keine Frage, sondern eine Feststellung, auf die ich nichts erwiderte.
    »Ich wünschte, ich könnte einen Zauber wirken, damit du unversehrt bleibst, aber ich bin kein Kampfmagier. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass dir mein Kreisel, der sich von selbst dreht, in einem Kampf viel nutzen würde.«
    »Glaube ich auch nicht.«
    »Dann habe ich wohl nichts zu bieten als meinen Segen.« Unsere Umarmung fiel unbeholfen aus, da wir keine Übung darin hatten. »Pass auf dich auf«, flüsterte er. »Pass um Sakras willen auf dich auf.«
    Ich ging, ohne etwas zu erwidern, da mir die Kehle wie zugeschnürt war.
    Ich stieg die Treppe hinunter, machte vor Celias Schlafzimmertür halt und klopfte an. »Herein«, rief eine sanfte Stimme.
    Sie saß auf der Kante ihres Bettes, einem malvenfarbigen Ungetüm, zu dem ihre kleine Menagerie von Stofftieren nicht so recht passen wollte. Sie hatte geweint, gab sich aber alle Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen. »Du hast es also getan? Du hast dich freiwillig gemeldet?«
    »Das war die Voraussetzung dafür, eine Uniform zu bekommen.«
    »Musst du … musst du gehen?«
    »Ich habe einen Vertrag unterschrieben. Wenn ich ihn nicht einhalte, komm ich ins Gefängnis.«
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie wegzublinzeln versuchte. »Warum hast du das getan?«, fragte sie.
    Was sollte ich auf diese Frage antworten? Wie sollte ich die unzähligen vertanen Nächte zusammenfassen, in denen ich zur Decke einer Penne hochgestarrt hatte, wo ich das Bett mit zwei anderen teilen musste, deren lautes Schnarchen mich immer wieder aus dem Schlaf riss? Wie sollte ich die Erkenntnis in Worte fassen, dass die Welt es völlig in Ordnung findet, wenn man sich im Dienste anderer kaputtmacht, wenn man sich seelisch verschleißt, damit andere reich werden? Wie sollte ich erklären, dass die Karten gezinkt sind, dass man, wenn man ehrlich spielt, nur ausgenommen wird?
    »Weil das eine Chance für mich ist. Der Krieg verändert die Dinge – krempelt die Ordnung um. Hier bin ich ein Niemand, hier bin ich der letzte Dreck, der vom Regen fortgespült wird. An der Front hingegen …« Ich zuckte die Achseln. »Man wird etliche Rekruten zu Offizieren ernennen müssen, weil es nicht genug Leute gibt, die es sich leisten können, ein Offizierspatent zu kaufen. Ich werde es bis zum Leutnant bringen – da kannst du sicher sein. Und danach? Für einen Mann, der seine Zukunft nicht aus den Augen verliert, ist genug Platz in der Welt.«
    Als ich fertig war, sah mich Celia schmachtend an. Hätte ich bloß den Mund gehalten! Es brachte nichts, ihrer Vernarrtheit neue Nahrung zu geben. »Ich weiß, dass du das schaffen wirst. Bevor der Krieg zu Ende geht, wirst du General sein.« Sie errötete und sprang vom Bett hoch. »Ich habe dich von Anfang an geliebt – seit du damals aus der Dunkelheit aufgetaucht bist und mich gerettet hast.« Sie trat nahe an mich heran, und mir wurde nur allzu bewusst, dass lediglich eine dünne Lage Stoff ihren Körper von meinem trennte. »Ich werde auf dich warten – so lange, wie es nötig ist.« Ihre Worte überschlugen sich, sprudelten ihr nur so über die Lippen. »Oder … wenn du nicht warten willst …« Sie schlang die Arme um mich. »Du hast keine Freundin – ich weiß, dass du dich aufgespart hast.«
    Ich klopfte ihr unbeholfen auf den Rücken. Es war besser, das rasch zu erledigen, kurz und schmerzhaft. »Als ich dreizehn war, habe ich einer Hure vom Dock zwei Silberlinge gezahlt, damit sie mich mit hinter einen Schuppen nimmt. Dass ich nie eine Frau mit hergebracht habe, um sie dir vorzustellen, bedeutet nicht das, was du annimmst.«
    Die Wirkung, die meine Worte hatten, hätte nicht größer sein können, wenn ich sie geschlagen hätte. Sie brauchte eine ganze Weile, um sich zu sammeln, dann schmiegte sie sich wieder an mich. »Aber ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt –

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