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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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sich die Oberschicht der Stadt gegenseitig dezimiert. Die kleine gepflegte Rasenfläche war fast so blutgetränkt wie die Ebenen von Gallia. Offiziell sind Duelle im Reich verboten, obwohl die Krone gern bereit ist, über den einen oder anderen Mord, der hier geschieht, hinwegzusehen – zumindest in dieser Hinsicht sind vor dem Gesetz alle gleich, die ganz oben ebenso wie die ganz unten.
    Das war der Hauptgrund, warum ich Zeisig nicht dabeihaben wollte. Lord Beaconfield hatte mich nicht zu einem Morgenspaziergang herbestellt – er hatte mich eingeladen, dabei zuzusehen, wie er jemanden tötete. Nach meiner Zählung würde es in dieser Woche sein viertes Opfer sein.
    Ich betrat den Park und war bald von zahlreichen Buchen umgeben. Schon nach wenigen Hundert Metern verlor sich der Lärm der Stadt und wich morgendlicher Stille. Als ich meinen Weg fortsetzte, drang jedoch das leise Gemurmel einer Menschenmenge an mein Ohr. Anscheinend sollte ich nicht der einzige Zuschauer sein.
    Vor dem Duellplatz hatte sich eine Gruppe von zwanzig oder dreißig Männern eingefunden – Freunde oder Bekannte der Teilnehmer, wie ich vermutete. Ich stellte mich unter einen abgelegenen Baum, um die Lage zu sondieren. Wie ich feststellte, waren auch einige Träger alter Namen anwesend. Es war lange her, seit ich mich aus beruflichen Gründen bei Hofe hatte auskennen müssen. Trotzdem reichte mein löchriges Gedächtnis aus, um zwei Grafen und einen Marquis wiederzuerkennen, die früher dem Schwarzen Haus Informationen geliefert hatten. Es wahrscheinlich immer noch taten, wenn ich es recht bedachte.
    Gegenüber dem Publikum befanden sich die Duellanten samt Anhang, durch etwa sieben Meter Rasen voneinander getrennt. Beaconfield hatte es sich auf einer Bank bequem gemacht. Er trug einen mehrfarbigen Kittel sowie einen langen schwarzen Mantel und war von einem halben Dutzend seiner Gefolgsleute umgeben, die zwar nicht ganz so extravagant gekleidet waren wie auf dem Ball, sich nach meinem Dafürhalten aber trotzdem auf eine Weise ausstaffiert hatten, die der Situation unangemessen schien. Sie alle amüsierten sich enorm und alberten herum, was ihr Anführer mit einem lässigen Grinsen quittierte.
    Am entgegengesetzten Ende des Kampfplatzes herrschte eine völlig andere Stimmung. Der Gegner des Herzogs hatte nur seinen Sekundanten bei sich, und beide wirkten in keiner Weise fröhlich. Der Duellant saß auf einer Bank und starrte mit hartem Blick ins Leere. Er war mittleren Alters und somit eigentlich zu alt für diese Art von Unsinn. Sein Sekundant, dessen Mantel sich über einem gewaltigen Schmerbauch spannte, stand neben ihm und fuchtelte nervös herum.
    Ich habe nie herausgefunden, weshalb sie sich eigentlich duellierten. Vermutlich drehte es sich um eine Verletzung der Etikette, um die Art von nebulösem Quatsch, den die Oberschicht gern zum Anlass nimmt, um Blut zu vergießen. Ich ging jedoch davon aus, dass Beaconfield das Duell provoziert hatte – die Menschen stellen ihre Talente nun einmal gern zur Schau, und des Herzogs Stärke war sein geschickter Arm.
    Beaconfield bemerkte mich und hob grüßend die Hand. Machte er das hier so oft, dass er es als Knalleffekt in unsere Verabredung einbauen konnte? Was für ein krankes Arschloch!
    Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie Beaconfields Butler auf mich zukam. »Haben Sie die Ware?«, fragte er ohne jede Einleitung.
    »Ich habe den langen Weg nicht um meiner Gesundheit willen zurückgelegt«, entgegnete ich und reichte ihm ein unauffälliges Päckchen, das Traumranke und Koboldatem im Wert von mehreren Ockerlingen enthielt.
    Nachdem er sich das Päckchen in den Hosenbund gesteckt hatte, gab er mir einen Beutel, der sich schwerer anfühlte, als er sollte. Adlige lieben es, mit Geld um sich zu werfen, obwohl Beaconfield sich das – wenn Mairi recht hatte – eigentlich nicht leisten konnte. Tuckett schien irgendeinen Kommentar von mir zu erwarten. Als der ausblieb, sagte er: »Ich hoffe, Sie wissen die Einladung zu schätzen. Sie werden die Ehre haben, einer außergewöhnlichen Darbietung beizuwohnen.«
    »Tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, Tuckett, aber am Tod ist nichts Außergewöhnliches. Und an Mord auch nicht. Zumindest nicht da, wo ich herkomme.«
    Er rümpfte die Nase und ging zu den anderen zurück. Ich drehte mir eine Zigarette und beobachtete, wie die Schneeflocken auf meinem Mantel schmolzen. Einige Minuten verstrichen. Der Kampfrichter trat in die Mitte des

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