Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
witterte eine Chance und machte einen Ausfall, um seinen Gegner zu durchbohren. Beaconfield wehrte jedoch alle Hiebe und Stiche seines Gegenübers mit nachgerade übernatürlichem Geschick ab.
Plötzlich zwinkerte mir der Herzog zu und führte einen Stoß aus, der so schnell war, dass ich ihm nicht folgen konnte, und schon hatte Wilkes ein Loch in der Brust, das er ungläubig anstarrte, bevor ihm die Waffe aus der Hand fiel und er zu Boden sank.
Ich muss zugeben, dass ich mich, seit ich den Herzog kannte, bisweilen gefragt hatte, ob sein Ruf vielleicht eher auf Gerüchten und Gerede beruhte. Das würde ich jetzt nicht mehr tun. Es ist wichtig, seine eigenen Grenzen zu erkennen, sich nicht von Stolz oder Zuversicht zu der Annahme verleiten zu lassen, dass man zu bestimmten Dingen fähig ist. Ich würde nie ein attraktiver Mann sein. Ich würde Adolphus nie im Ringkampf besiegen oder eine Trommel besser schlagen als Yancey. Ich würde den Alten nie austricksen, niemals so reich werden, dass ich ein neues Leben anfangen konnte, nie aus der Unterstadt rauskommen.
Und ich würde nie, niemals in der Lage sein, Lord Beaconfield in einem fairen Kampf zu besiegen. Gegen diesen Mann eine Waffe zu ziehen war der reinste Selbstmord, so tödlich, als schluckte man Witwenmilch.
Wilkes hatte vermutlich bekommen, was er verdiente – es bringt nichts, sich jemanden zum Feind zu machen, der den Spitznamen Lächelnde Klinge trägt. Trotzdem schien der Ausgang des Duells die Zuschauer nicht zu befriedigen. Beaconfields coup de grâce war schlechter Stil gewesen. Dass ein Kombattant eine Wunde im Unterleib davonträgt und an Blutvergiftung stirbt, ist etwas anderes, als ihn mit einem tödlichen Stich vorsätzlich zur Strecke zu bringen. Bei diesen Dingen gab es einen Verhaltenskodex – das erste Blut, das fließt, ist gewöhnlich nicht gleichzeitig das letzte. Die Anhänger des Herzogs brachten ihm natürlich ihre Huldigung dar und klatschten, doch den restlichen Anwesenden stand keineswegs der Sinn danach, dem Sieger Beifall zu zollen. Ein Sanitäter eilte auf den Kampfplatz, gefolgt von Wilkes’ Sekundanten, doch viel Hoffnung dürften sie nicht gehabt haben, und falls doch, dann zerschlug sie sich bald. Ich konnte aus einer Entfernung von fünfzig Schritt sehen, dass diese Wunde tödlich war.
Der Herzog hatte wieder auf der Bank Platz genommen und wurde von seinen Gefolgsleuten umringt, die ihm kriecherisch zu diesem ritualisierten Mord gratulierten. Sein Hemd war am Hals aufgeknöpft, auf seinem dunklen Haar sammelten sich Schneeflocken. Abgesehen von der Rötung seines Gesichts wies nichts darauf hin, dass er gerade einen Kampf hinter sich gebracht hatte – dieses Scheusal war noch nicht mal in Schweiß geraten. Als ich mich ihm näherte, lachte er über etwas, das ich nicht ganz mitbekam.
Ich begrüßte ihn mit einer Verbeugung. »Gestatten Sie mir zu sagen, dass es mir eine Freude war, beobachten zu dürfen, wie Milord um solch einer noblen Sache willen seine Fertigkeiten demonstriert hat.«
Er deutete ein Hohnlächeln an, und mir fiel auf, wie anders er in Gegenwart seiner Lakaien wirkte. »Es freut mich, dass Sie die Gelegenheit hatten, dem Kampf beizuwohnen. Da Sie nicht auf meine Einladung reagiert haben, war ich mir nicht sicher, ob Sie kommen würden.«
»Ich bin stets Milords gehorsamer Diener.«
Die ihn umgebenden Speichellecker hielten das für die Unterwürfigkeit, die ihrem Anführer gebührte, doch der Herzog kannte mich gut genug, um den Sarkasmus herauszuhören. Er erhob sich und scheuchte die ihn umringenden Parasiten mit einer Handbewegung fort. »Lassen Sie uns ein Stück gehen.«
Ich gehorchte und ging zusammen mit ihm einen schmalen gepflasterten Weg entlang, der vom Springbrunnen wegführte. Durch die kahlen Äste der Bäume war der weiße Himmel zu sehen, der zwar Licht, aber keine Wärme spendete. Mittlerweile schneite es noch heftiger als zuvor.
Beaconfield schwieg, bis wir außer Hörweite seiner Entourage waren. Dann blieb er stehen und baute sich vor mir auf. »Ich habe über unser letztes Gespräch nachgedacht.«
»Es schmeichelt mir, Gegenstand von Milords Gedanken zu sein.«
»Ihre Worte haben mich beunruhigt.«
»Oh!«
»Und noch mehr das, was Sie seitdem gegen mich unternommen haben.«
»Und wie soll ich mein Verhalten ändern, um Milord zufriedenzustellen?«
»Hören Sie auf, solchen Unsinn zu reden. Das finde ich nicht besonders amüsant«, fuhr er mich an und plusterte sich
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