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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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Befehle ignorierst, weil sie dir nicht passen!«
    »Ich hab’s satt, dein Scheißlaufbursche zu sein!«, schrie er. »Alles, was ich mache, ist, Nachrichten zu überbringen und in der Kneipe mitzuhelfen! Wem schadet es denn, dass ich dir gefolgt bin?«
    »Wem es schadet?« Ich tat so, als wollte ich ihm in den Magen schlagen, knallte ihm stattdessen aber den Rücken meiner anderen Hand gegen die Stirn. Er taumelte zurück und verlor beinahe das Gleichgewicht. »Gestern Nachmittag haben einige gefährliche Männer den Versuch gemacht, mich umzubringen. Was, wenn sie es noch einmal versuchen und dabei bemerken, dass du mir folgst? Glaubst du, du bist zu jung, um den Bauch aufgeschlitzt zu bekommen?«
    »Bisher ist mir aber nichts passiert«, erwiderte er voller Stolz.
    Da verlor ich die Selbstbeherrschung und ließ meiner Wut freien Lauf. Ich schlug seine erhobenen Fäuste zur Seite, schubste ihn gegen die Mauer und drückte ihm meinen Unterarm gegen das Brustbein. »Du hast nur deswegen so lange überlebt, weil du Abschaum bist, weil du noch minderwertiger als eine Ratte bist und es sich einfach nicht lohnt, dich kaltzumachen. Sobald du den Kopf mal aus der Gosse erhebst, wirst du erleben, wie schnell sie hinter dir her sind, um dir mit ihren Messern die rosige Kehle zu kitzeln!«
    Mir wurde klar, dass ich ihm den letzten Satz ins Gesicht geschrien hatte und dass ich im Begriff stand, den Jungen ernsthaft zu verletzen, wenn ich mich nicht zusammenriss. Ich nahm meinen Unterarm von seiner Brust. Er sackte zu Boden und blieb liegen.
    »Du musst cleverer sein, als du bist, verstehst du? Es gibt Unmengen von cleveren Jungs in der Unterstadt, deren Leichen man irgendwo verscharrt hat. Du musst cleverer sein als die – die ganze Zeit, jede Minute des Tages. Wenn du der Sohn eines Kaufmanns wärst, würde das keine Rolle spielen, dann könntest du es dir leisten, jung zu sein. Aber du bist nicht der Sohn eines Kaufmanns, du bist Ghettodreck, das solltest du nie vergessen – weil die anderen es auch nicht vergessen werden.«
    Er war immer noch wütend, hörte mir aber zu. Ich rieb mir Graupeln aus den Haaren, während mir das geschmolzene Eis über Stirn und Wangen lief. Dann streckte ich die Hand aus und half ihm hoch.
    »Was hast du gesehen?«, fragte ich. Es überraschte mich, wie schnell ich mich beruhigt hatte, ebenso wie es mich überraschte, dass ich eben noch so aufgebracht gewesen war.
    Er schien ebenfalls zum Einlenken bereit zu sein. »Ich habe gesehen, wie ein Edelmann einen anderen getötet hat. Dann bist du mit ihm davongegangen. Das war die Lächelnde Klinge, stimmt’s?«
    »Ja.«
    »Was hat er zu dir gesagt?«
    »Es hat mir zu verstehen gegeben, dass ich höchstwahrscheinlich nicht im Bett sterben werde.«
    Zeisig grinste abfällig. Er war nach wie vor von meiner Unbesiegbarkeit überzeugt. »Was hast du darauf geantwortet?«
    »Dass die Leute Schlange stehen, um mich kaltzumachen, und dass er das Nachsehen haben könnte, wenn er sich nicht beeilt.« Er lächelte, und trotz der Bemerkungen, die ich zuvor gemacht hatte, war ich froh, dass ich ihm nicht alle Illusionen genommen hatte. Vielleicht war ich sogar ein bisschen stolz darauf, dass er so viel von mir hielt. »Was hast du Adolphus erzählt, um verschwinden zu können?«
    »Ich habe gesagt, du hättest mir aufgetragen, zu Yancey zu gehen, weil du noch was über Beaconfield wissen willst.«
    »Sieh zu, dass du die beiden nicht anlügst.«
    »Ich werd’s versuchen«, erwiderte er.
    Der Schneefall wurde immer schlimmer, und da wir uns nicht von der Stelle bewegten, fing ich an zu zittern. »Wenn ich dich ein Stück mitkommen lasse, versprichst du mir dann, zur Kneipe zurückzugehen, sobald ich es dir sage?«
    »Ja.«
    »Und hältst du auch Wort?«
    Er kniff die Augen zusammen, dann bewegte er das Kinn rasch auf und ab.
    »Na gut.« Ich setzte mich in Bewegung, und er schloss sich mir an.
    »Wo wollen wir denn hin?«
    »Ich muss mit der Seherin sprechen.«
    »Warum?«
    »Das ist jetzt der Teil des Vormittags, an dem du schweigend neben mir hergehst.«
    Dreißig Minuten später kamen wir bei der Box an. Als ich dem Jungen befahl, draußen zu warten, nickte er und lehnte sich gegen die Mauer. Glücklicherweise hatte der Eiländer, der mich beim letzten Mal eingelassen hatte, Wachdienst, und trotz seines Alters war er rege genug, mich wiederzuerkennen. Außerdem war er so anständig, mich ohne Begleitung hereinzulassen.
    Als ich eintrat, stand Marieke über

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