Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
mich damit aus meinem Versteck locken wollte? Eigentlich hatte sie echt gewirkt. Außerdem konnte ich mir durchaus vorstellen, dass ich von Mairi mit ihren kalten schwarzen Augen verraten und verkauft worden war, kaum dass ich ihr Etablissement verlassen hatte.
Ich fügte das den immer zahlreicher werdenden Dingen hinzu, über die ich nachdenken musste, falls ich die nächsten fünf Minuten überlebte, und tauchte in eine Gasse ab. Hinter mir hörte ich das Gebrüll meiner Verfolger, die sich mir wie eine Hundemeute an die Fersen hefteten. Bei den Gebäuden in dieser Gegend handelte es sich durchgehend um Textilfabriken neuen Stils, in denen lange Reihen von Arbeitern an erbarmungslosen Maschinen standen. Seit dem Handelskrieg mit Nestria im letzten Jahr waren sie jedoch alle geschlossen. Aus den Augenwinkeln nahm ich den Nebeneingang eines dieser Gebäude wahr. Ich warf mich mit der Schulter dagegen, worauf das morsche Schloss, das die Tür gesichert hatte, aufsprang.
Ich kam in einen hallenartigen Raum von gut hundert Metern Länge. Durch die kaputten Fenster fiel genug Licht herein, um die riesigen Nähapparate, die hier vor sich hin gammelten, orten und umgehen zu können. An der hinteren Wand erblickte ich eine steile Metalltreppe, die zu einigen längst verlassenen Büros führte. Ich sprintete die Stufen hoch. Die Gangway brachte mich zu einer zweiten Treppe und einer weiteren Tür, deren Schloss mich ebenso wenig aufhielt wie das der Tür unten.
Dann erreichte ich ein flaches Dach, dessen Holzplanken verzogen waren und keinen vertrauenerweckenden Eindruck machten. Vor mir breitete sich die Stadt aus, ein Panorama des Verfalls, über dem der hohe Schornstein aufragte, der die Fabrik krönte. Durch meine List hatte ich nur ein paar Sekunden Zeit gewonnen. Ich zog meine Klinge, um mich mit dem ersten meiner Verfolger zu befassen.
Seine Maske hatte die Form eines schmalen Vogelschnabels. Lachend zog er seine Klinge, einen dünnen Fechtdegen, der eher wie ein Kinderspielzeug als wie eine Mordwaffe aussah. Er setzte an, etwas zu sagen, doch ich hatte keine Zeit für den Austausch von Floskeln und stürzte mich auf ihn, um ihn so rasch wie möglich zu Boden zu schicken und meine Flucht fortzusetzen.
Er war schnell und gute zehn Jahre jünger als ich, doch ein mit Fechten verbrachtes Leben war eine schlechte Vorbereitung für eine Situation wie diese. Der Puderschnee behinderte seine Beinarbeit, und sein Kampfstil, unter weniger dramatischen Umständen verfeinert, zeugte von jener Neigung zur Offensive, die man sich aneignet, wenn das Schlimmste, was einem bei einer Fehleinschätzung passieren kann, darin besteht, dass man ein Match verliert. Mit dem würde ich kurzen Prozess machen.
Doch die Zeit drängte, denn ich hörte, wie seine Kumpane die Treppe hochstürmten. Falls ich ihn nicht schnell erledigte, würde ich erfahren, wie schwer einem das Atmen fällt, wenn man dreißig Zentimeter Stahl im Leib hat. Nach seinem nächsten Ausfall tat ich so, als würde ich straucheln, und ließ mich aufs Knie fallen, in der Hoffnung, dass er den Köder schluckte.
Die Aussicht, mich zu erwischen, erwies sich als unwiderstehlich, und er setzte zum tödlichen Stoß an. Ich duckte mich so weit nach unten, dass mein Gesicht fast das Dach berührte, und sein Degen stieß ins Leere. Den linken Arm gegen das vereiste Holz stemmend, sprang ich hoch und säbelte ihm mit meiner Grabenklinge die Hand ab. Er kreischte auf, mit einer derart hohen Stimme, dass ich vor Erstaunen für den Bruchteil einer Sekunde innehielt, bevor ich ihm den Hals bis zum Rückgrat durchtrennte. Dann sprang ich rasch über seine Leiche und eilte weiter.
Ich kletterte die drei Meter hohe gusseiserne Leiter empor, bis ich zur Spitze des Schornsteins gelangte. Von dort blickte ich auf meine Verfolger hinab, wobei mir der Gedanke durch den Kopf schoss, dass ich so gut wie tot war, falls einer von ihnen eine Armbrust dabeihatte. Das war jedoch nicht der Fall. Zwei von ihnen starrten, die Schwerter fest gepackt, zu mir hoch, während der Dritte nach ihrem toten Kameraden sah. Ich lachte, erfüllt von jenem Hochgefühl, das mit Gewalttätigkeit einhergeht. »Blaublüter bluten wie gewöhnliche Sterbliche!«, brüllte ich, während es rot von meiner Grabenklinge tropfte. »Kommt mich doch holen, wenn ihr den Mumm dazu habt!«
Rasch nahm ich Anlauf und sprang auf das Glasdach des angrenzenden Bürogebäudes, das splitternd unter mir zerbarst. Ich kam
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