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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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das nahende Fest interessierten, möglicherweise gar nichts davon wussten.
    Ich bog in eine unscheinbare Seitenstraße ein. Die Schmerzen in meiner Brust waren hoffentlich nicht die ersten Anzeichen von Fieber. In der Gasse reihte sich Laden an Laden – ein Ausdruck der kirenischen Geschäftstüchtigkeit. Über jedem hing ein grellbuntes Schild, das in kirenischen Schriftzeichen und verstümmeltem Rigunisch verkündete, was es dort zu kaufen gab. Ich trat in ein Geschäft in der Mitte der Gasse, das nur durch eine kleine Tafel gekennzeichnet war, auf der in verblassten Buchstaben das Wort » SCHNEIDEREI « stand.
    Hinter dem Ladentisch saß eine uralte Großmutter, eines jener fossilienhaften Geschöpfe, bei denen man sich nicht vorstellen kann, dass sie jemals jung gewesen sind, und die wirken, als wären sie schon so verhutzelt und steinalt aus dem Mutterleib gekommen. Sie war rundum von Ballen farbigen Tuchs und knallbunten Bändern umgeben, die ohne Rücksicht auf organisatorische oder ästhetische Prinzipien kreuz und quer herumlagen. Jeder, der dumm genug war, den Laden zu betreten, um etwas von den angebotenen Waren zu kaufen, würde angesichts des hier herrschenden Chaos schnell wieder kehrtmachen. Doch schließlich verdiente die alte Hexe mit ihrer illegalen Tätigkeit mehr als genug, sodass sie sich nicht die Mühe zu machen brauchte, sich auch noch mit legalem Handel zu befassen.
    Ohne ein Wort zu sagen, winkte mich die Besitzerin in Richtung Hinterzimmer. Der Raum war klein und schmutzig, in der Mitte stand ein Drehstuhl. An den Wänden hingen Regalbretter, die mit medizinischem Zubehör, Umschlägen, Tränken und chemischen Ingredienzien aller Art gefüllt waren. Das meiste davon war mit ziemlicher Sicherheit nutzlos, aber die Medizin beruht ohnehin zu einem Gutteil auf Einbildung, bei den Kirenern sogar in verstärktem Maße.
    Ich setzte mich auf den Stuhl und zog mich aus. Sobald ich meines Hemdes ledig war, griff die Alte nach meinem Arm, nicht grob, aber auch mit weniger Zartgefühl, als ich es mir in Anbetracht der höllischen Schmerzen in meiner linken Seite gewünscht hätte. Nachdem sie die Verletzung begutachtet hatte, schnatterte sie in ihrer Sprache los. Ich verstand zwar kein Wort, aber das Ganze hörte sich vorwurfsvoll an.
    »Wie? Sie haben recht, damit hätte ich rechnen müssen – Beaconfield hat mich ja mehr oder weniger gewarnt. Ich dachte nur, er würde länger brauchen, um sich dazu zu entschließen.«
    Sie machte sich daran, verschiedene Glasgefäße vom Regal zu nehmen, wobei sie die nicht etikettierten Flaschen auf eine Weise, die nicht gerade vertrauenerweckend war, inspizierte und nochmals inspizierte. Nachdem sie sich für eine Flasche entschieden hatte, goss sie den Inhalt in einen seltsam geformten Kessel und stellte diesen auf den Eisenherd, der in der Ecke des Zimmers vor sich hin bullerte. Während wir darauf warteten, dass der Kessel kochte, musterte mich die Alte mit finsterem Blick und murmelte unverständliche Beschimpfungen vor sich hin. Sie zog ein Fläschchen aus den Falten ihres Gewands und schwenkte es einladend hin und her.
    »Lieber nicht – es gehört zu meinen Prinzipien, vor dem Lunch keine Opiate zu mir zu nehmen.«
    Sie hielt mir das Fläschchen hin und redete in ihrem Singsang auf mich ein.
    Ich seufzte und winkte sie heran. »Auf Ihre Verantwortung.«
    Sie zog den Stöpsel aus der Flasche und legte mir eine kleine Kugel auf die Zunge. Das Zeug schmeckte bitter und unangenehm. Nachdem sie das Fläschchen wieder weggesteckt hatte, holte sie ein kleines Messer hervor, das sie mit einem Stück Tuch säuberte.
    Vor meinen Augen drehte sich alles, meine Sinne verwirrten sich. Sie zeigte auf meinen Arm. Ich wollte etwas Witziges erwidern, doch mir fiel nichts ein. »Dann mal los«, sagte ich.
    Sie drückte mir fest gegen die Schulter und schnitt mir mit der Klinge den Abszess auf, der sich an der Wundstelle gebildet hatte. Ich biss mir auf die Zunge, bis ich Blut schmeckte.
    Ohne irgendeine Bekundung von Mitgefühl wandte sich die Alte dem nächsten Teil ihrer Arbeit zu. Während sie in der Ecke herumhantierte, beschloss ich unvorsichtigerweise, einen Blick auf den aufgestochenen Abszess zu werfen – mit vorhersehbarer Auswirkung auf meinen Magen. Als sie bemerkte, dass ich grün im Gesicht wurde, kam sie angerannt, versetzte mir eine Ohrfeige und ließ einen Schwall von Beschimpfungen vom Stapel. Ich wandte den Blick von der Wunde ab. Sie kehrte zum Herd

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