Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
steuerte auf den Ausgang zu.
Am Aufgang zur Treppe lehnte ein Wächter, der ganz offenkundig nicht begeistert davon war, hier Posten stehen zu müssen, während im Saal ausgiebig gefeiert wurde. Ich tat so, als torkelte ich. »Sag mal, Kamerad, wo geht’s denn hier zum Klo? Ich mach mir gleich in die Hosen.« Während er noch überlegte, ob die Sicherheit im Haus Vorrang vor den Wünschen der Gäste habe, schlüpfte ich an ihm vorbei. Er schickte mir ein zustimmendes Grunzen hinterher. Ich bog in einen Korridor ein und ging in Richtung Dienstboteneingang.
Es würde Kendick nicht schwerfallen, auf das Gelände zu gelangen, das lediglich von einer hohen Hecke geschützt wurde. Und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass ihm das Schloss große Probleme bereiten würde, obwohl es neu und raffiniert konstruiert war. Doch ich war zu lange in diesem Metier, um einen Vorteil ungenutzt zu lassen. Ich zog den Riegel zurück und begab mich wieder in den Saal.
Die Party war in vollem Gang und entwickelte sich allmählich zu einem regelrechten Bacchanal. Über den Anwesenden schwebten mehrfarbige Rauchwolken, der makellos weiße künstliche Schnee war inzwischen zertreten und verschmutzt. Die von der Decke hängenden Joints mit Traumranke waren deutlich weniger geworden, das Füllhorn narkotischer Freuden hatte sich geleert. In der Ecke war ein fetter Mann mit einer der Kellnerinnen zugange, auf eine Weise, die in der feinen Gesellschaft mit Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen wird. Das grell orangefarbene Licht der Sakra-Statue war zu stumpfem Violett verblasst, was den Vorgängen im Raum etwas Ruchloses und zugleich Unwirkliches verlieh.
Ich weiß nicht recht, was mich veranlasste, mit Brightfellow zu reden. Unsere bisherigen Begegnungen waren schließlich nicht so erfreulich gewesen, dass sie eine erneute Kontaktaufnahme gerechtfertigt hätten. Als ich ihn zu Beginn des Abends hatte hereinkommen sehen, hatte ich schon befürchtet, er werde sich wie eine Klette an mich hängen, um die ganze Nacht lang Gemeinheiten mit mir auszutauschen. Stattdessen hatte er im hinteren Teil des Raumes Platz genommen und sich jeden Drink, der in seine Nähe kam, hinter die Binde gekippt. Zwischendurch hatte er immer mal wieder einen Schluck aus einer Taschenflasche genommen.
Das Vernünftigste wäre gewesen, ihn in Ruhe zu lassen. Falls Kendrick erfolgreich war und Celias Entdeckung sich bestätigte, hatte es keinen Sinn, Brightfellow auseinanderzunehmen, zumal sich der Zauberer ohnehin nicht leicht einschüchtern ließ. Vielleicht lag es an meinem angeborenen Bedürfnis rumzustänkern. Vielleicht war mir auch einfach nur danach zumute, jemanden zu drangsalieren.
Doch in Wirklichkeit glaube ich, dass ich die Aussicht genoss, ihm jetzt, da er am Boden war, noch ein paar Tritte zu versetzen. Es war leicht, ihn zu hassen, ja, er schien dieses Gefühl geradezu herauszufordern. Solche Anwandlungen sollte man jedoch lieber unterdrücken, denn persönliche Animosität trübt den Geist. Aber Selbstbeherrschung war eben noch nie meine starke Seite. Ich dachte an die Kinder und an Crispin – und schon steuerte ich auf Brightfellow zu.
Als mein Schatten auf ihn fiel, blickte er hoch und kniff die Augen zusammen, um mich inmitten des Gewusels um uns herum erkennen zu können. Seit ich Brightfellow kannte, hatte ich ihn noch nie nüchtern erlebt, aber auch nie richtig betrunken. Er schien mir zu den Menschen zu gehören, die ein oder zwei Gläschen brauchen, um den Tag zu überstehen, und erst dann zur Hochform auflaufen, wenn ihr Blut einen gewissen Alkoholgehalt aufweist.
Über diesen Punkt war er heute weit hinaus, denn er hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben, sich bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken. Seine Augen waren blutunterlaufen, das Gesicht geschwollen, große Schweißtropfen rannen ihm über Stirn und Stupsnase. Im ersten Moment gelang es ihm, sein übliches Verhalten an den Tag zu legen und mich höhnisch anzugrinsen, doch das verlor sich schnell, und er ließ benebelt den Kopf sinken.
»Haben wohl ’ne lange Nacht hinter sich, was?«, fragte ich und setzte mich neben ihn. Sein unangenehmer Körpergeruch drang durch den Duft des Parfüms, mit dem er sich übergossen hatte.
»Was zum Teufel wollen Sie?«, lallte er.
»Sie um einen Tanz bitten, weil Sie so hübsch aussehen.«
Er schwieg. Offenbar hatte er gar nicht mitbekommen, was ich sagte.
Ich nippte an meinem Champagner. Das war schon mein viertes oder fünftes Glas,
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