Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
Vom Netzwerk:
merkwürdig oder sehr still sei oder verfaulte Zähne habe und sich nicht wasche – aber was sie damit meinten, war, dass mit ihm irgendetwas nicht stimme , etwas, das man zwar spürte, aber nicht genau benennen konnte. Die wirklich gefährlichen Verbrecher dieser Art lernen sich zu tarnen, lernen, ihren Wahnsinn inmitten der banalen Sittenlosigkeit, die sie umgibt, zu verbergen. Aber dafür war der hier nicht clever genug. Deshalb saß er allein auf der langen Bank, eine einsame Figur, die von den Gruppen lachender Arbeiter abstach.
    Obwohl er so tat, als bemerkte er nicht, dass ich ihn beobachtete, kippte er sein Getränk mit einer Geschwindigkeit runter, die ihn Lügen strafte. Offen gestanden war ich von seiner Gelassenheit beeindruckt, ja, es überraschte mich, dass er überhaupt die Geistesgegenwart besaß, seine übliche Feierabendroutine durchzuziehen. Ich sah in meinem Ranzen nach und vergewisserte mich, dass ich mein Rasiermesser dabeihatte. Obwohl es als Waffe nicht viel taugte, würde es bei dem, was ich vorhatte, nützlich sein. Ich winkte dem Kirener zu. Er erbleichte und wandte rasch den Blick ab.
    Es war an der Zeit, die Sache ein wenig zu beschleunigen. Ich trank mein kisvas aus, dessen saurer Nachgeschmack mich das Gesicht verziehen ließ, und stand auf, um mich zu meiner Beute zu gesellen. Als er begriff, was ich vorhatte, schrumpfte er förmlich zusammen und starrte in seinen Drink. Die Männer um ihn herum glotzten mich mit finsterer Miene an, hin- und hergerissen zwischen der Abneigung gegenüber ihrem Landsmann und der instinktiven Feindseligkeit, die sie einem Eindringling von anderer Hautfarbe gegenüber empfanden. Ich entwaffnete sie mit einem breiten Grinsen und tat so, als sei ich betrunken. »Kisvas, hao chi!« – kisvas, gut –, grölte ich und rieb mir den Bauch.
    Ihr Misstrauen legte sich, sie erwiderten mein Grinsen. Es gefiel ihnen, dass sich ein weißer Mann zum Narren machte. Sie schnatterten miteinander, aber so schnell, dass ich nichts verstehen konnte.
    Mein Opfer vermochte ihre Belustigung weder zu teilen, noch fiel es auf meinen Trick herein. Das wollte ich auch gar nicht. Ich ließ mich ihm gegenüber auf die Bank sinken und wiederholte mein Mantra. »Kisvas, hao chi!« Mein Grinsen wurde so breit, dass es fast schwachsinnig wirkte. » Nu ren « – junges Mädchen – »hao chi ma?« , fragte ich. Auf seinem blassgelben Gesicht brach Angstschweiß aus. »Kisvas, hao chi! Nu ren, hao hao chi!« , sagte ich mit erhobener Stimme.
    Abrupt stand der riesige Kirener auf und schlängelte sich durch eine Lücke in der langen Tischreihe. Ich erhob mich ebenfalls, versperrte ihm den Weg und trat so nahe an ihn heran, dass ich den sauren Gestank seines ungewaschenen Körpers riechen und er hören konnte, wie ich, die Rolle des Betrunkenen aufgebend, in unbeholfenem, aber verständlichem Kirenisch zu ihm sagte: »Ich weiß, was du dem Mädchen angetan hast. In spätestens einer Stunde bist du tot.«
    Er stieß mich mit seiner Pranke gegen die Brust, sodass ich zurücktaumelte und auf den Tisch fiel. Die Menge brach in Gelächter aus, in das ich lauthals einstimmte, weil ich die Show, die ich abzog, genoss, ebenso wie die ganze Unternehmung. Ich blieb auf dem Tisch liegen, hörte zu, wie sich die Häretiker über mich lustig machten, und beobachtete durch das Fenster neben der Tür, wie der riesige Kirener davonrannte. Sobald er außer Sicht war, glitt ich vom Tisch und ging rasch in Richtung Hintertür. Nachdem ich, etwas über die schlimmen Folgen des Alkohols vor mich hin murmelnd, durch eine verdreckte Küche getorkelt war, gelangte ich auf die Straße und sprintete los, weil ich hoffte, ihm den Weg abzuschneiden.
    Als ich das Ende der Gasse erreicht hatte, lehnte ich mich lässig gegen die Mauer, als hätte ich schon den ganzen Tag dort gestanden. Der Kirener bog, über die Schulter zurückblickend, um die Ecke. Als er mich sah, wurde er so weiß im Gesicht, dass er als Rouender durchgegangen wäre. Ich biss mir auf die Zunge, um nicht in Lachen auszubrechen. Seine Angst regte mich an wie ein steifer Drink. Bei Sakras Schwanz, das hatte mir gefehlt – es gibt Freuden, die das Leben eines Kriminellen nicht zu bieten vermag.
    Als er an mir vorüberging, verbeugte ich mich und trat von der Mauer weg. Inzwischen war er ziemlich fertig und kurz davor, unter der Last seiner Schuldgefühle und seiner Angst zusammenzubrechen. Da er nicht recht wusste, ob er gehen oder rennen sollte,

Weitere Kostenlose Bücher