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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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entschied er sich für eine Fortbewegungsart, die ebenso zögerlich wie plump wirkte. Ich folgte ihm gemessenen Schrittes, passierte den einen oder anderen Fußgänger, machte aber nicht den Versuch, ihn einzuholen.
    Ein paar Blocks weiter schlug er sich in eine Gasse. Jetzt hatte ich ihn. Er hatte eine Sackgasse erwischt, wie sie für das Kirenerviertel typisch ist. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Selbst wenn mir mehrere Tage für die Planung und alle Hilfsmittel der Krone zur Verfügung gestanden hätten, hätte ich es nicht besser treffen können. Ich verlangsamte meinen Schritt und dachte darüber nach, wie ich ihn mir schnappen sollte.
    Er war so groß wie Adolphus, wenn auch nicht so massiv gebaut. Doch ich war mir ziemlich sicher, dass er wie viele große Männer nie gelernt hatte, richtig zu kämpfen, das heißt, die Reaktionen des Gegners vorauszusehen, Schwächen zu erkennen und auszunutzen, abzuschätzen, welche Körperteile eines Mannes unangreifbar waren und welche der Schöpfer verpfuscht hatte. Trotzdem würde sein Mangel an Kampftechnik keine Rolle spielen, falls er es schaffte, mich mit seinen monströsen Händen bei der Kehle zu packen. Ich musste ihn also schnell erledigen.
    Als ich um die Ecke bog, hielt der Kirener verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau. Wie die meisten Leute mit seinen Neigungen scheute er die Gefahr und ließ sich trotz seiner Größe nur dann auf einen Kampf ein, wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft waren. Als er sich zu mir zurückwandte, sah ich, dass er kurz davor war durchzudrehen. Speichel spritzte ihm aus dem Mund, während er irgendetwas Unflätiges brüllte und sich mit der Faust gegen die Brust schlug. Ich spürte das sichere, warme Gefühl, das mich immer überkam, wenn ich mich damit abfand, dass Gewalttätigkeit nicht zu vermeiden war. Keiner von uns konnte jetzt noch einen Rückzieher machen. Ich hob die Fäuste, um mein Gesicht zu decken, und ging auf ihn zu.
    Plötzlich drang von hinten eisige Kälte auf mich ein, die vom Gestank nach Fäkalien und verwestem Fleisch begleitet wurde. Vor Schreck schrumpften meine Eier zusammen. Meine Nase mit dem Arm bedeckend, sprang ich zur Seite, um an der verfallenen Ziegelmauer Schutz zu suchen.
    Das Wesen war zwei Meter fünfzig oder vielleicht auch drei Meter groß. Seine genaue Größe ließ sich schwer schätzen, da es ein Stück über dem Boden schwebte. Seine Gestalt glich auf blasphemische Weise einem Zweifüßler, obwohl die Unterschiede ausreichten, um eine Verwechslung mit einem Angehörigen der menschlichen Rasse auszuschließen. Die obszönen Arme hingen bis zu den Füßen herab und liefen in fächerartige Hände aus, die größer als mein Kopf waren. Viel mehr ließ sich nicht erkennen, da der größte Teil seines Körpers von einem dicken schwarzen Umhang bedeckt wurde, der sich bei genauerem Hinsehen jedoch als eine Art Panzer erwies. Soweit ich erkennen konnte, war der Körper unter der Umhüllung hart und weiß wie Knochen.
    Ich hatte gehofft, nie wieder solch ein Wesen zu Gesicht zu bekommen – ein weiteres Gebet, das Sakra nicht erhört hatte.
    Sein Gesicht war die verzerrte Parodie eines menschlichen Antlitzes, die Haut straff über den Knochen gespannt, die Augen tollwütig und grausam. Ein stechender Schmerz fuhr mir durch die Brust, von einer Heftigkeit, wie ich sie noch nie erlebt hatte, und ich brach zusammen. Ich versuchte zu schreien, doch der Schrei erstarb auf meinen Lippen. Einen entsetzlichen Moment lang war ich bereit, jeden zu verraten, jede Demütigung zu ertragen, jegliche böse Tat zu begehen, falls die Qual dadurch gelindert würde. Dann wandte sich das Wesen von mir ab und schwebte weiter. Der Schmerz endete so jäh, wie er eingesetzt hatte. Völlig entkräftet blieb ich auf der Erde liegen.
    Ein paar Schritte vor dem Kirener machte das Wesen halt. Sein Unterkiefer schien sich auszuhaken und erstreckte sich immer weiter nach unten, bis ein leerer rötlicher Schlund sichtbar wurde. »Das Kind sollte nicht misshandelt werden.« Seine Stimme klirrte wie zerschmettertes Porzellan. »So, wie sie gelitten hat, sollst jetzt du leiden.« Der Kirener starrte das Wesen mit einem Entsetzen an, das verriet, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Mit einer Geschwindigkeit, die seine bisherige Bedächtigkeit Lügen strafte, packte das Wesen den Mann bei der Kehle und hob ihn mühelos hoch.
    Nachdem ich fünf Jahre als Soldat gedient und viele Stunden damit

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