Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
sich weigern, wird Ihnen das als Widersetzlichkeit ausgelegt. Wer nicht zurückweicht, gilt als Feind der Krone .« Obwohl er seine Stimme nicht erhoben hatte, drangen seine Worte an die Ohren aller Anwesenden. Die Kirener beruhigten sich und wichen respektvoll auseinander.
Das Auge der Krone war noch so eine Sache, die ich wirklich vermisste.
Crispin nickte zwei Stadtwächtern zu, die rechts und links von uns Position bezogen, während wir auf die Hauptstraße hinaustraten. Sobald die Kirener außer Sicht waren, blieb Crispin stehen und stützte sich mit der Hand an einer Mauer ab. »Einen Moment«, keuchte er, nach Atem ringend. Das Auge der Krone schöpft seine Kraft aus seinem Besitzer, und selbst ein erfahrener Ermittlungsbeamter wie Crispin konnte sich seiner nicht bedienen, ohne hinterher völlig ausgelaugt zu sein.
Nervös warteten wir darauf, dass Crispin sich erholte. Ich wurde allmählich kribbelig. Wenn sich die Menge wieder zusammenrottete und in den engen Straßen des Kirenerviertels über uns herfiel, würde das übel ausgehen. Guiscard legte seinem Vorgesetzten die Hand auf die Schulter. »Wir müssen weiter«, sagte er. Nachdem Crispin noch einmal tief Luft geholt hatte, setzten wir unseren Weg fort.
Wie einen Würdenträger mit Ehrenwache eskortierten sie mich durch die halbe Stadt, obwohl Würdenträger, soviel ich wusste, selten gefesselt wurden. Das war das zweite Mal, dass man mich in Ketten zum Schwarzen Haus brachte. Das erste Mal war wesentlich unangenehmer gewesen.
Das Schwarze Haus macht offen gestanden einen weniger imposanten Eindruck, als es vermutlich sollte. Das gedrungene, unattraktive Gebäude ähnelt eher dem überdimensionalen Haus eines Kaufmanns als dem Hauptsitz der gefürchtetsten Polizeieinheit auf dem ganzen Planeten. Es steht unübersehbar an einer verkehrsreichen Kreuzung, an der Grenze zwischen Altstadt und Wormington’s Shingle, und erinnert die Bevölkerung mit seinen drei Stockwerken sowie den labyrinthischen unterirdischen Anlagen daran, dass das Auge der Krone stets auf ihr ruht. Das Gebäude hat kaum Verzierungen oder Ornamente und wirkt von außen weder grandios noch einschüchternd.
Allerdings ist es fast völlig schwarz.
Als wir an dem düsteren ebenholzfarbenen Tor ankamen, schickte Crispin die Stadtwächter zum Tatort zurück. Dann brachten er und Guiscard mich ins Gebäude. Als wir an der nicht gekennzeichneten Tür vorübergingen, die zu den unterirdischen Räumen führte, wo die richtigen Verhöre stattfanden, seufzte ich erleichtert auf. Das war eine Erfahrung, die ich nicht noch einmal machen wollte, weder als Verhörender noch als Opfer. Als wir den Hauptgang erreichten, entfernte sich Crispin, vermutlich, um seinen Vorgesetzten Bericht zu erstatten, während Guiscard bei mir blieb. Er öffnete die Tür zum Wartebereich, einem nichtssagenden Raum mit Wänden aus Stein, in dem lediglich ein billiger Holztisch und drei unbequeme Stühle standen. Er drückte mich auf einen der Stühle. »Crispin kommt gleich zurück«, sagte er.
Unter meiner Nase hatte sich eine Kruste aus geronnenem Blut gebildet. »Kein Interesse, mir auch eine zu verpassen?«
»Der Tote … war er der Mörder des Mädchens?«
Ich nickte.
»Woher wussten Sie das?«
»Das wussten alle«, erwiderte ich. »Wir haben’s euch bloß nicht erzählt.«
Er verdrehte die Augen und stapfte nach draußen.
Ungefähr anderthalb Stunden ließen sie mich warten. Mein Kopf tat höllisch weh, und ich überlegte, wie viele meiner Rippen wohl gebrochen sein mochten. Mindestens drei, vermutete ich, doch da ich mich selbst nicht abtasten konnte, ließ sich das nicht so genau feststellen. Ich spielte mit dem Gedanken, mich von meinen Fesseln zu befreien, um Crispin und seiner Crew eins auszuwischen. Doch wahrscheinlich hätte mir das nur eine weitere Tracht Prügel eingebracht. Außerdem schien es mir eine kleinliche Art von Rache zu sein.
Endlich ging die Tür auf. Crispin kam mit finsterem Gesicht herein und nahm mir gegenüber Platz.
»Sie wollen nicht an die Sache ran«, teilte er mir mit.
Wenn ich ein bisschen schwer von Begriff war, so war das in Anbetracht der Umstände wohl nicht verwunderlich. »Was zum Teufel soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass der Fall für das Schwarze Haus abgeschlossen ist. Shang Jue, ein Fabrikarbeiter, der gelegentlich als Schläger angeheuert wurde, war der Mörder von Tara Potgieter und mehreren anderen Mädchen, deren Identität erst noch ermittelt
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