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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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Kerker spazieren müssen, um sich ein Opfer auszusuchen. Außerdem wäre der Alte nicht so dumm gewesen, mich in eine solche Operation mit einzubeziehen, weil er dann hätte befürchten müssen, dass ich ihm auf die Schliche komme. Nein, wenn der Alte hinter alldem stecken würde, hätte ich das Schwarze Haus nie wieder verlassen.
    Oder?
    Vielleicht war Ling Chi der Drahtzieher, und unser Gespräch war eine List gewesen, um mich von der Fährte abzubringen. Der Einzige, von dem ich mit Sicherheit sagen konnte, dass er in die ganze Geschichte verwickelt war, war ein Kirener gewesen, und ich hatte schon zahlreiche Gerüchte über die dunklen Künste der Häretiker gehört, obwohl ich das in der Vergangenheit immer den allgemeinen ethnischen Antipathien zugeschrieben hatte. Möglicherweise steckte ein anderes Syndikat dahinter oder irgendein intriganter Höfling – verflucht noch mal, vielleicht handelte es sich auch um eine teuflische Vergeltungsmaßnahme der Dren.
    Ich trank mein Bier aus und versuchte, Ordnung in meinem Kopf zu schaffen, in dem so viele Partikel umherschwirrten, dass ich kein klares Bild von dem Spiel, geschweige denn von den Spielern bekommen konnte. Früher hatte ich so was besser gekonnt, aber jetzt fehlte mir die Übung – ein erfolgreicher Krimineller zu sein, erfordert andere Fähigkeiten, als einen Kriminellen zu fangen. Und nach einem halben Jahrzehnt Drogenkonsum hatte mein Deduktionsvermögen sicher auch nicht gerade zugenommen. Vielleicht hatte Crispin ja recht. Vielleicht war ich tatsächlich schon zu kaputt, um da mitmischen zu können, sodass das verzweifelte Wagnis, auf das ich mich eingelassen hatte, vergebliche Liebesmüh war und das Unvermeidliche nur hinausschob.
    Während ich mich förmlich in Selbstverachtung wälzte, tippte mir plötzlich jemand zweimal kurz auf die Schulter. Als ich mich umdrehte, sah ich Zeisig vor mir stehen. Sein Gesicht war knallrot, entweder vor Verlegenheit oder vor Kälte. Ich war überrascht und ein klein wenig beeindruckt. Ich hatte angenommen, er würde einen ganzen Tag brauchen, um all seinen Mut zusammenzunehmen und in den sauren Apfel einer Konfrontation mit mir zu beißen.
    Trotzdem musste ich ihn noch eine Weile zappeln lassen. »Wieder da? Willst du jetzt Adelines gutes Porzellan stibitzen? Es ist in der Küche. Wahrscheinlich bekommst du ein paar Silberlinge dafür.«
    »Du stiehlst auch.«
    »Aber nicht, weil ich mich langweile. Nicht, weil ich, wenn ich was Glänzendes sehe, es unbedingt haben muss. Dieberei ist eine Taktik, kein Hobby. Nichts, was ich mache, um die Zeit totzuschlagen. Und ich bestehle niemals einen Freund – nie jemanden, der mich freundlich behandelt hat.« Sein Blick wich dem meinen aus. »Außerdem geht es nicht darum, dass du gestohlen, sondern darum, dass du dich dumm verhalten hast. Gaunerei kann ich akzeptieren, Dummheit ist verwerflich.«
    Wie den meisten Menschen war es Zeisig lieber, wenn man ihn für unmoralisch als für unfähig hielt. »Bin ja nicht erwischt worden.«
    »Womit du meinst, du hast es geschafft davonzukommen. Na und? Inzwischen hat er es bemerkt, und du hast es dir mit einem der mächtigsten Männer von Rigus verscherzt. Hör auf, wie ein Straßenjunge zu denken – wenn du nicht lernst, weiter als bis zu deiner nächsten Mahlzeit zu blicken, wirst du eines Morgens mit vollem Magen und einem Messer im Bauch aufwachen.«
    »Ich bin ein Straßenjunge.«
    »Darüber müssen wir uns auch noch unterhalten. Ich werde in Zukunft mehr Aufträge für dich haben, da kann ich mich nicht erst jedes Mal nach dir auf die Suche machen. Von jetzt an schläfst du in der Kneipe.«
    »Was, wenn ich nicht will?«
    »Du bist kein Sklave. Wenn du lieber in der Gosse schläfst statt in einem Bett, bitte – aber dann verlierst du auch deinen Job. Ich kann keinen Partner brauchen, der mir nicht jederzeit zur Verfügung steht.«
    Er schwieg eine Weile. »In Ordnung«, sagte er schließlich.
    Damit hatte ich Adeline zumindest vorerst vom Hals. Beim Erstgeborenen, sie war fast so schlimm wie der Alte. »Fein. Und jetzt lauf zu Lord Beaconfields Anwesen.« In aller Kürze beschrieb ich ihm den Weg. »Sag dem Torwächter, dass ich heute Abend vorbeikomme, um den Rest der Sachen abzuliefern.«
    Er eilte davon. Ich widmete mich wieder meinem Drink und wünschte, meine anderen Probleme ließen sich ebenso leicht klären wie diese kleine häusliche Angelegenheit.
    Ich dachte an meine Anfänge als Ermittlungsbeamter zurück, an

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