Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
entnahm ich seinen Worten mehr, als sie besagten? Gehörte Beaconfield zu jenen Patriziern, die mit niederem Volk wie uns gern über die schwierige, trostlose Natur des menschlichen Lebens plaudern? »So oder so zahlen wir für das, was wir schuldig sind.«
»Dann gibt es also für keinen von uns Hoffnung?«
»Nein.«
»Sie sind ein kalter Mensch.«
»Ich habe mich nur der Temperatur angepasst, denn die Welt ist kalt.«
Sein Gesicht straffte sich, der Moment der Offenheit war vorüber. »Da haben Sie recht.«
Von einem Moment zum andern legte Beaconfield eine Haltung an den Tag, die möglicherweise drohend war, vielleicht aber auch nur aristokratischen Hochmut ausdrückte – genau ließ sich das nicht feststellen. Jedenfalls war ich erleichtert, als ein Klopfen an der Tür das Ende unseres Gesprächs signalisierte.
Wir erhoben uns und gingen zur Tür, die der Herzog öffnete. Tuckett steckte den Kopf herein, flüsterte seinem Herrn etwas zu und verschwand wieder.
»Danke für die Dienste, die Sie mir geleistet haben«, sagte Beaconfield. »Mir fällt gerade ein, dass ich sie möglicherweise auch in Zukunft in Anspruch nehmen muss. Sie wohnen immer noch im Torkelnden Grafen ? Zusammen mit Ihrem Kriegskameraden und seiner Frau?«, fragte er. Die Drohung war ebenso offenkundig wie unerwartet.
»Es geht doch nichts über ein schönes Zuhause.«
Er lächelte. »In der Tat.«
Hinter mir lag ein elend langer Tag, und während ich in Richtung Ausgang ging, hoffte ich zum einen, dass ich unterwegs nicht dem nächsten Besucher des Herzogs begegnete. Zum andern dachte ich jedoch, dass sich eine weitere Konfrontation mit ihm gewiss lohnen werde. Und ebendieser Wunsch wurde mir erfüllt, denn als ich den Treppenabsatz erreichte, sah ich Brightfellow unten auf einer Bank sitzen. Er wirkte genauso einnehmend wie bei unserer ersten Begegnung. Dann erhob er sich und brach in ein breites Grinsen aus, dem ich, da die Treppe zahlreiche Stufen hatte, gute fünfzehn Sekunden lang ausgesetzt war.
Ich hatte nicht erwartet, dass sich Brightfellow in der Zwischenzeit in ein respektables Mitglied der menschlichen Spezies verwandelt hatte, und freundlicherweise enttäuschte er mich in dieser Hinsicht auch nicht. Falls er nicht den schäbigen schwarzen Anzug trug, den er schon auf der Party angehabt hatte, dann zumindest einen, der jenem zum Verwechseln ähnlich sah.
Aber da war etwas, das mir auffiel, etwas, das ich schon bei unserer ersten Begegnung bemerkt hatte, ohne imstande zu sein, es mit seiner Gesamterscheinung in Einklang zu bringen. Viele Männer geben sich gern hart, berauschen sich an Träumen von ihrer Gefährlichkeit, als handelte es sich dabei um Wein. Das ist in der Unterstadt so etwas wie ein Lokalsport. Da lümmeln Strichjungen und Penner an verfallenen Mauern und reden sich gegenseitig ein, dass sie gefährlicher als eine unbehandelte Wunde seien und ihr Ruf dafür sorge, dass Passanten lieber auf der anderen Straßenseite blieben. Nach einer Weile werden sie zu einem Teil der Szenerie. Es gibt Dinge, die man nicht vortäuschen kann, und Gefährlichkeit ist eins davon – ein Schoßhündchen mag ja lernen, zu heulen und die Zähne zu fletschen, aber das macht es noch lange nicht zu einem Wolf.
Die wirklich gefährlichen Typen verzichten auf jedes Getue. Man spürt automatisch, was sie sind. Brightfellow war ein Killer. Nicht von der Art des Kireners, der Tara umgebracht hatte, kein Triebtäter – nur ein Mörder, ein alltäglicher Typ, der ohne die geringsten Gewissensbisse gewiss schon etliche Mitmenschen unter die Erde gebracht hatte. Als ich ihm entgegenging, prägte ich mir das gut ein – dass sein lächerliches Äußeres nur ein Teil von ihm war, vielleicht sogar nur ein geringer Teil, den er aufgebauscht hatte, um den Rest zu kaschieren.
Ich holte meinen Tabakbeutel heraus und drehte mir eine Zigarette, da ich meinte, der Rauch werde dazu beitragen, den Geruch von Brightfellows ungewaschenem Körper zu übertönen. Er hielt seine Mütze in der Hand und bleckte mit heuchlerischer Freundlichkeit seine unregelmäßigen Zähne.
»Na, wenn das nicht unser Witzbold ist. Wie geht’s denn so?«
»Sagen Sie, Brightfellow, essen Sie eigentlich jedes Mal, bevor wir uns treffen, Leber? Oder steht die ohnehin so oft auf Ihrem Speiseplan, dass sich Ihr Mundgeruch gar nicht vermeiden lässt?«
Er stieß ein widerliches Lachen aus. »Mein Name ist Ihnen also zu Ohren gekommen, ja? Freut mich, dass ich mir einen
Weitere Kostenlose Bücher