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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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ist es?«
    Eine Sekunde lang befürchtete ich, Adolphus werde gleich losflennen. »Meskies Sohn Avraham.«
    Ein schlimmer Tag wurde noch schlimmer. Meskie war unsere Waschfrau, eine gutmütige Eiländerin, die ebenso liebevoll wie streng eine ganze Horde von Kindern aufzog. Avraham kannte ich nicht besonders gut und hatte ihn immer nur als eines unter vielen freundlichen Kindern wahrgenommen, die die Matriarchin umgaben.
    »Glaubst du, er könnte noch …«, setzte Adeline zu fragen an, verstummte jedoch, da sie es nicht wagte, die Frage ganz auszusprechen.
    »Diese Möglichkeit gibt es immer«, erwiderte ich.
    Diese Möglichkeit gab es nicht. Die Leute vom Schwarzen Haus würden ihn nicht finden, das würde an mir hängen bleiben. Und gegen die Lächelnde Klinge konnte ich nichts unternehmen, nicht mit dem, was ich in der Hand hatte. Verflucht noch mal, möglicherweise war er ja auch gar nicht der Täter. Vielleicht würde sich bald was ergeben, vielleicht hatte ich Glück, aber das waren Hoffnungen, nichts, womit ich rechnete, und ich bin kein Optimist. Das Kind war schon so gut wie tot. Obwohl es erst halb elf war, brauchte ich bereits eine Portion Koboldatem.
    Adeline, deren rundes Gesicht sehr alt wirkte, nickte. »Ich hol dir Frühstück«, sagte sie.
    Adolphus und ich saßen eine Weile schweigend da. »Wo ist Zeisig?«, fragte ich schließlich.
    »Auf dem Markt. Adeline brauchte verschiedene Dinge fürs Abendessen.« Er griff in seine Gesäßtasche und holte einen Zettel heraus. »Das ist für dich gekommen, als du noch geschlafen hast.«
    Ich nahm den Zettel und entfaltete ihn. Die mit schwarzer Tinte geschriebene Nachricht war äußerst kurz:
     
    6   :   30 Herm-Brücke. Crispin
     
    Er war schneller, als ich erwartet hatte. Allerdings war mir schleierhaft, warum er sich mit mir treffen wollte, statt mir die Liste einfach zuzuschicken. Vielleicht wollte er sich für die Auseinandersetzung, die wir gehabt hatten, entschuldigen, obwohl ich es für wahrscheinlicher hielt, dass er mich erst noch ein bisschen zappeln ließ, bevor er die Information ausspuckte. Ich strich ein Streichholz an der Theke an, hielt es gegen den Zettel und ließ die Asche zu Boden fallen.
    »Du machst Adeline unnötige Arbeit, denn sie muss das beseitigen«, sagte Adolphus.
    »Wir alle beseitigen die Scheiße von anderen.«
    Während ich noch frühstückte, kam Zeisig mit einem Sack voller Einkäufe zurück. Adolphus’ Gesicht hellte sich ein wenig auf. »Wie viel hast du rausbekommen?«
    »Zwei Silberlinge und sechs Kupferlinge«, erwiderte Zeisig und legte das Wechselgeld auf die Theke.
    Adolphus klatschte sich auf den Schenkel. »Er redet zwar nicht viel, aber niemand in der Unterstadt kann so verdammt gut feilschen wie er! Bist du sicher, dass du kein Eiländerblut in den Adern hast, mein Junge?«
    »Keine Ahnung. Schon möglich.«
    »Dem entgeht nichts! Haarscharf passt der auf! Kriegt alles mit!«
    »Hast du das von Meskies Sohn gehört?«, fragte ich, Adolphus’ Lobeshymne unterbrechend.
    Zeisig senkte den Blick.
    »Lauf mal rüber und erkundige dich, ob die Schneemänner mit ihrer Untersuchung fertig sind, wie kursorisch die auch immer gewesen sein mag.«
    »Was heißt kursorisch ?«
    Ich trank meinen Kaffee aus. »Oberflächlich.«
    Dann ging ich nach oben, um mir meine Waffen zu holen und mir eine Portion Koboldatem reinzuziehen. Diesmal war es also ein Junge. Worin bestand das verbindende Element? Drei Kinder unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher Herkunft – alle aus der Unterstadt, aber das besagte eigentlich nur, dass es wesentlich einfacher ist, ein Straßenkind zu entführen als das Kind eines Adligen. Ich dachte an mein letztes Gespräch mit Beaconfield zurück. War dieser kranke Dreckskerl nach unserm Treffen losgezogen, um ein Kind zu entführen? War Avraham in irgendeinem Winkel des Herrenhauses versteckt, an einem Stuhl festgebunden, und wartete jetzt weinend auf die Qualen, die ihm bevorstanden?
    Ich nahm eine weitere Nase voll Koboldatem und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Ich hatte noch nichts gegen den Herzog in der Hand, und wenn ich ihn beschuldigte und mich irrte, wäre der Alte wohl nicht gerade entzückt. Es war besser, die Spur weiterzuverfolgen, statt überstürzt zu handeln und alles zu verderben.
    Ich nahm noch eine Nase voll und steckte das Fläschchen in meinen Ranzen. Ich hatte Meskie immer gemocht, obwohl wir nicht viel miteinander zu tun hatten, und war in keiner Weise

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