Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
Willkommenslächeln ersetzt.
»Mairi hat ein paar Minuten Zeit für Sie. Bitte kommen Sie herein.«
Ich trat in einen eleganten, mit Marmorplatten gefliesten Vorraum, von dem eine mit rotem Samt ausgelegte Treppe mit einem Ebenholzgeländer nach oben führte. In der Nähe der Tür stand ein massig gebauter, äußerst beschränkt aussehender Mann, der einen gut geschnittenen Anzug trug und mich diskret taxierte. Abgesehen von seinen Händen, die die Größe von Schinken hatten und zweifellos gehörig zupacken konnten, war er unbewaffnet.
Die hübsche Empfangsdame machte am Fuße der Treppe halt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Wenn Sie mir bitte folgen würden. Zur Madame geht es hier entlang.«
Vergeblich versuchte ich, nicht auf ihren Hintern zu starren, während sie vor mir die Treppe hinaufging. Wie alt sie wohl war? Und wie mochte sie zu diesem Gewerbe gekommen sein? Vermutlich gab es schlimmere Mittel und Wege, um Geld zu verdienen – das hier war allemal besser, als zehn Stunden am Tag in einer Fabrik zu schuften oder in irgendeiner Kaschemme der Unterstadt als Kellnerin zu arbeiten. Trotzdem ist es natürlich nicht ohne, ständig auf dem Rücken zu liegen und die Beine breitzumachen, auch wenn das Laken unter einem aus Seide besteht.
Oben bogen wir nach rechts ab und gingen einen schmalen, von Schlafzimmern gesäumten Korridor entlang, bis wir vor einer Eichentür haltmachten, die, um von den anderen Türen unterscheidbar zu sein, goldene Verzierungen aufwies. Die junge Frau klopfte leise an. Eine kehlige Stimme rief: »Herein«, worauf meine Führerin mir die Tür öffnete.
Das Zimmer wurde – was nicht allzu überraschend war – von einem üppigen Himmelbett mit weißen Spitzenvorhängen beherrscht. Alles an der Ausstattung zeugte von altem Geldadel und verfeinertem Geschmack, sodass man eher den Eindruck hatte, in das Boudoir einer Herzogin als in das Schlafzimmer einer Hure zu kommen. An einem Schminktisch in der Ecke saß eine Frau. Wie ich annahm, war es Mairi die Dunkeläugige.
Ich muss gestehen, ich war ziemlich enttäuscht. Nach Yanceys Andeutungen hatte ich mehr erwartet. Sie war eine dunkelhaarige Tarasaihgnerin nicht ganz mittleren Alters, obwohl nicht viel daran fehlte. Recht attraktiv zwar, trotz der zusätzlichen Pfunde, die sie sich um die Taille herum zugelegt hatte – aber nicht schön, und ganz gewiss nicht auf außergewöhnliche Weise. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätte ich die Empfangsdame vorgezogen, die jünger und knackiger war.
Doch dann drehte sich Mairi zu mir um, und ich sah ihre Augen, dunkle, samtige Teiche, von denen ich mich länger in den Bann ziehen ließ, als die Schicklichkeit es erlaubte. Plötzlich konnte ich nicht mehr begreifen, wie ich dazu gekommen war, die Frau vor mir mit dem Mädchen, das mich zu ihr geführt hatte, auch nur zu vergleichen. Mein Mund war völlig ausgetrocknet. Ich riss mich zusammen, um mir nicht über die Lippen zu lecken.
Mairi erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung und kam auf mich zu, um mir ungezwungen die Hand zu schütteln. »Danke, Rajel, ich brauche dich nicht mehr«, sagte sie in akzentfreiem Nestriannisch.
Rajel machte einen Knicks und ging davon, die Tür hinter sich schließend. Mairi stand schweigend da, als wollte sie mich die Ware begutachten lassen, bevor sie mit einem Verkaufsgespräch loslegte.
»Sprechen Sie Nestriannisch?«, fragte sie.
»Hatte nie ein Ohr dafür.«
»Tatsächlich?« Sie sah mich forschend an, um dann in ein kehliges Lachen auszubrechen, das sich wie der Gesang eines Ochsenfroschs anhörte. »Ich glaube, Sie lügen.«
Sie hatte recht – ich konnte Nestriannisch, zwar nicht so gut wie ein Muttersprachler, aber doch gut genug, um mir auf dem Weg zur Cathédrale Daeva Maletus Straßenräuber vom Leibe zu halten. In den ersten anderthalb Kriegsjahren hatte mein Grabenabschnitt an die Linien der Nestrianner angegrenzt. Für Leibeigene, die in Schlamm und Dreck wühlten, waren sie recht anständige Burschen. Ihr Hauptmann war weinend zusammengebrochen, als er herausfand, dass seine Generäle einen separaten Waffenstillstand geschlossen hatten – aber schändliches Verhalten und Inkompetenz waren während dieses unglückseligen Konflikts in den oberen Rängen eine Allgemeinerscheinung.
Sie klimperte lächelnd mit den Wimpern. »Ihnen ist doch wohl klar, dass Sie mir mit Ihrer Lüge mehr verraten haben, als Sie es mit einer ehrlichen Antwort getan hätten.«
»Und was habe
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