Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
zugenickt hatte, wandte er sich an Adolphus. »Einen schwarzen Kaffee, bitte.«
»Wir haben noch nicht geöffnet«, erwiderte Adolphus, klatschte seinen Wischlappen auf die Theke und verschwand nach hinten.
Ich genoss in aller Stille meine Tasse Kaffee.
»Er mag mich nicht, was?«, fragte Guiscard.
Eigentlich hat Adolphus ein weiches Herz und weist keinen Gast zurück – wahrscheinlich hätte er sogar den Statthalter der Republik Dren bedient, falls der hohe Herr geruht hätte, bei uns aufzutauchen. Ich hatte den Verdacht, dass sich seine Begeisterung für die Polizei in Grenzen hielt, nachdem sich die Vertreter der Krone bei ihrem letzten Besuch in seinem Etablissement derart brutal aufgeführt hatten. »Sicher würde man mir in Ihrer Lieblingskneipe einen ähnlichen Empfang bereiten.«
»Vermutlich. Hat er Ihnen wenigstens ausgerichtet, was ich ihm mitgeteilt habe?«
»Ich hatte schon davon gehört.«
»Es tut mir sehr leid.«
Wie zerknirscht auf einmal alle waren. »Warum sagen Sie das? Sie waren doch sein Partner. Ich hatte in den letzten fünf Jahren kaum mit ihm zu tun.«
»Ein sehr unerfahrener Partner, und das erst seit sechs Monaten. Ich glaube, er mochte mich nicht mal.«
»Ich weiß, dass er mich nicht mochte, und trotzdem tut es mir leid, dass er tot ist. Habt ihr schon irgendwelche Anhaltspunkte?«
»Die Befragungen haben nichts ergeben. Die Eisschnepfe ist gerade dabei, den Tatort zu sondieren. Einige meiner Kollegen wollten Sie verhören, aber wir haben von oben die Anweisung bekommen, uns von Ihnen fernzuhalten. Offenbar haben Sie immer noch ein paar Freunde in den oberen Etagen.«
Der Alte war kein Freund, ganz gleich, wie vage man den Begriff definierte – aber er würde nicht wollen, dass mich jemand an meinen Ermittlungen hinderte.
»Wie steht’s mit Ihnen? Haben Sie irgendeine Idee?«, fragte Guiscard.
Ich starrte in meinen dickflüssigen schwarzen Kaffee. »Ich habe einen Verdacht.«
»Ich nehme an, den wollen Sie mir wohl nicht mitteilen, oder?«
»Nehmen Sie an, was Sie wollen.«
Zum ersten Mal bei diesem Gespräch kam wieder der Mann zum Vorschein, den ich an der Leiche der Kleinen Tara kennengelernt hatte. Er gab sich jedoch alle Mühe, seinen wütenden Gesichtsausdruck zu unterdrücken, und sein Tonfall hatte, wie ich zu seiner Ehre sagen muss, nichts Verächtliches an sich. »Ich würde Ihnen gern helfen, wenn ich kann.«
»Ich dachte, Sie mochten ihn nicht?«
»Er mochte mich nicht. Ich habe ihn immer gemocht – aber darum geht’s jetzt nicht. Er war mein Partner, und bei diesen Dingen gibt es einen Ehrenkodex. Und wenn das Schwarze Haus nicht herausfinden kann, wer ihn getötet hat, dann würde ich mich gern mit Ihnen zusammentun.«
Diese Bemerkung schmeckte mir ein bisschen zu sehr nach jugendlicher Sentimentalität. Ich kratzte mich am Kinn und überlegte, ob er log – und ob das überhaupt eine Rolle spielte. »Warum sollte ich Ihnen vertrauen?«
»Mir war nicht klar, dass Ihnen so viele Hilfsmittel zur Verfügung stehen, dass Sie es sich leisten können, ein Angebot wie das meine abzulehnen.«
»In Ordnung«, sagte ich, holte das Blatt Papier aus meiner Tasche und reichte es ihm. »Deshalb wurde Crispin getötet. Ich habe es der Leiche abgenommen, bevor ihr aufgekreuzt seid. Das ist ein entscheidendes Beweisstück bei einem ungeklärten Verbrechen. Wenn Sie es nicht unverzüglich dem Ermittlungsbeamten übergeben, der die Untersuchung leitet, verletzen Sie Ihren Eid als unparteiischer Vertreter der Gerechtigkeit, und wenn Sie mich nicht verhaften und ins Schwarze Haus bringen, dann helfen Sie einem Verdächtigen bei einem schweren Vergehen. Für das Erste werden Sie degradiert, für das Zweite Ihres Amts enthoben.«
»Warum zeigen Sie mir das?«
»Weil auf dieser Liste ein Mann steht, mit dem ich sehr gern sprechen würde, ein Mann, der möglicherweise Licht in das Rätsel von Crispins Ende bringen könnte. Ich würde es nicht schaffen, ihn zu finden, Sie aber schon. Und wenn Ihnen das gelänge und Sie es mir dann mitteilen würden … wäre mir das von großem Nutzen. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass ich nicht im Gefängnis sitze, weil ich mich unbefugt an einem Tatort zu schaffen gemacht habe.«
Wir maßen einander mit durchdringenden Blicken, ein letzter Schlagabtausch, wie die Gepflogenheiten es erforderten, dann nickte er kurz und knapp. »Dazu wird es nicht kommen.«
»Es geht um den Mirader, den Dritten von unten.«
Er erhob sich.
Weitere Kostenlose Bücher