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Der Herr der zerstörten Seelen

Der Herr der zerstörten Seelen

Titel: Der Herr der zerstörten Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Decke zurück und schob die Beine über die Bettkante, um aufzustehen und das Fenster zu schließen. Sie wollte nicht frieren.
    Sie ging auf Zehenspitzen, und die Berührung des Teppichs, der den Boden bedeckte, tat ihr gut. Sie schloß das Fenster und wollte zum Bett zurück. Doch sie kam nur bis zur Mitte des Raums.
    Die Tür hatte sich geöffnet. Das Licht ging an. Kati drehte sich um und erschrak. Im Türrahmen stand eine schwarze Silhouette.
    »Kati?«
    Es war dieses Mädchen, es war Toni. Reto hatte sie Kati gestern vorgestellt, weil Toni mit ihr das ›Alpha-Training‹, den ›Reinigungskurs‹ machen sollte. »Dies ist deine Schwester Toni …« Das mit ›Schwester‹ und ›Bruder‹ wollte Kati noch nicht so leicht über die Lippen, den Nachnamen aber hatte sie sich gemerkt: Becker …
    »Was ist denn? Mach doch das Licht aus.«
    »Entschuldige schon … Kann ich hierbleiben?«
    »Hierbleiben? Wieso denn?«
    »Weißt du, ich … ich …« Es klang kläglich und war kaum zu verstehen. Kati dachte an das Mädchen von gestern: ein Mädchen im vergammelten, verfleckten Jeansanzug, das sie aus grauen prüfenden Augen angestarrt und mit seinem kessen, selbstsicheren Auftreten richtig verwirrt hatte.
    Toni wohnte im Zimmer nebenan. Sonst war der Flur leer. Reto hatte mit Helga, seiner Freundin, die Wohnung im unteren Stockwerk. Oben in dem Haus, das das ›Nest‹ genannt wurde, gab es zehn Zimmer, genügend Platz für zwanzig Neuaufnahmen, hatte man Kati gesagt. Doch sie und Toni waren allein.
    »Was ist los? Fühlst du dich nicht gut?« fragte Kati.
    »Nicht gut? Beschissen geht's mir.«
    »Mach doch bitte endlich das Licht aus.«
    Kati schlüpfte wieder unter die Bettdecke. »Komm, setz dich zu mir.«
    »Kann ich nicht …«
    »Was?«
    »Kann ich nicht zu dir ins Bett, Kati?«
    »Natürlich. Aber warum?«
    Toni schwieg. Sie trug einen dünnen, zerrissenen Trainingsanzug. Sie legte sich neben Kati und drehte den Kopf zur Wand. Ihre Schultern bebten – nicht nur die Schultern, der ganze Körper.
    Kati legte die Hand auf Tonis Oberarm, um sie zu beruhigen. Es half nichts.
    »Was ist denn?«
    »Weiß nicht. Wirklich nicht. Mir ist so komisch … so übel. Mein Hals … Die Bilder, und dann dieser Stuhl … Und dieser Typ, dieser Reto …«
    »Was ist mit Reto?«
    »Die haben uns irgendwas gegeben, Kati … Ich merk' das, glaub mir.«
    »Gegeben? Was haben sie uns gegeben?«
    »Weiß ich nicht. Irgendwas, Speed oder so … Ich kenn' das doch. Ich meine, ich hab' so Schmetterlinge im Magen und mein Puls … Da, fühl mal.«
    Tonis Puls raste.
    »Das ist wie Speed. Oder wie … wie ein Trip …«
    »Was heißt ›die‹? Was hat denn das mit Reto zu tun? Und dem Stuhl?«
    »Alles«, sagte Toni. Und dann richtete sie sich plötzlich auf, drehte sich Kati zu, und Kati spürte ihren Atem, sah das graue Gesicht und die dunklen Augen darin, spürte wie sich Tonis Zittern verstärkte. »Kati, ich hab' Angst.«
    »Hier? Ist doch verrückt, hier Angst zu haben. Hier am wenigsten. Warum bist du dann hergekommen?«
    Darauf bekam sie keine Antwort. »Verrückt«, flüsterte Toni. »Glaub mir, die sind verrückt! Jawohl, verrückt sind sie …«
    Es war das letzte, was sie von Toni hörte. Danach herrschte Totenstille, eine Stille, die lastender, ja, furchterregender war als alles andere.
    Kati öffnete den Schrank und suchte nach einer zweiten Decke.
    Nichts … Nur Leintücher. Und Toni fror doch so. Sie hatte Hände wie Eis, auch die Stirn war naß von kaltem Schweiß … Kati lauschte ihrem Atem, und ihre Angst wuchs. Schließlich drückte sie sich einfach an Toni, um ihr Wärme zu geben, dann stand sie wieder auf, zündete das Licht an und verließ das Zimmer. Toni konnte schwer krank sein. Sie mußte Reto holen, Toni brauchte Hilfe.
    Am Ende des Flures, von zwei kleinen Tiefstrahlern beleuchtet, blickte ihr der ›große Vater‹ entgegen. Er lächelte. An den Wänden hingen seine Worte, alle in den gleichen grauen Metallrahmen. Schöne Worte. Nur halfen sie nicht … Auch Reto half nicht. Als Kati im Erdgeschoß zögernd den Finger auf die Wohnungsklingel drückte, blieb alles still. Sie läutete nochmals. Nichts … Vielleicht schlief er? Sie klopfte. Niemand kam.
    Es war keiner im Haus, und die Vorstellung, allein mit Toni in dem langen, kahlen Betonblock zu sein, hatte mit einem Mal etwas Unheimliches …
    »In uns wohnt eine Stärke, die uns unbesiegbar macht und allen Gefahren trotzt. Wir brauchen sie nur zu

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