Der Herr der zerstörten Seelen
rufen.«
Der Satz hing genau der Tür gegenüber an der Wand. Aber in Kati war keine Stärke. Ihre Beine und Knie waren schwach, als sie ins Zimmer zurückkam und ins Bett kroch.
»Toni … Geht es besser?«
Hätte Martin wenigstens sein Versprechen eingehalten! Die ersten Tage des Kurses hatte er doch auf Schönberg bleiben wollen. Martin war so ruhig, man konnte ihm vertrauen, er hatte auf jede Frage eine Antwort. Aber wahrscheinlich war vorgezeichnet, daß Kati auch dies durchstehen mußte. Es war auch wahr, was Martin in seinem Brief schrieb: »Es gibt keinen Zufall. Es ist auch kein Zufall, daß wir uns trafen und uns in Bayreuth wiedersahen. Alles ist miteinander verbunden und folgt bestimmten festgelegten Leitlinien …«
Alles?
Daß sie Timo begegnet war, daß er sie ins ›Bali‹ brachte und daß sie dann an diesen Horror-Grufti-Partys teilgenommen hatte, an diesem ganzen Satansdreck, aus dem Martin sie herausgefischt hatte. Martin, der ihr die Augen öffnete – über sie selbst, über Mama, die doch immer tiefer in ihrem blinden Egoismus versackte.
Martin … Und jetzt?
Kati hielt Toni im Arm. Vielleicht war auch dies nichts anderes als ein Teil des Weges …
Noch einen Kaffee? Es wäre der dritte an diesem Morgen, und soviel Koffein wollte Robert Tennhaff weder seinen Nerven noch seinem Magen zumuten. Aber als sein Blick auf das Pflaster an seinem schmerzenden Daumen fiel, sagte er sich, daß er den Kaffee nicht nur verdient habe, sondern ihn auch brauchte, um den ganzen Vormittagsärger durchzustehen.
Er verließ die Kontrollzentrale und betrat den Korridor. Die Büros lagen verwaist. Vom anderen Ende hörte man das leise Summen der Faxgeräte, die ihre Endlosschlangen ausspuckten.
Die Schulung begann um halb acht und war um acht Uhr dreißig zu Ende: eine Stunde ›Spiritual powering‹ am frühen Morgen. Die hatten ja für alles so sonderbare Ausdrücke.
Tennhaff nahm den Plastikbecher aus dem Automaten, schob ihn unter die Einlaufdüse und drückte auf den Knopf.
Und wie immer, wenn er hier wartete, fiel dabei sein Blick auf die große Aufnahme von Schönberg. Es war eine Luftaufnahme, aus zirka fünfhundert Metern Höhe geschossen. Bis zu dem weichgeschwungenen Hügelkamm des Rotkopfs zeigte sie das ganze Schönberg-Areal. Von den sechsundzwanzig Hektar Forst, die zu Schloß Schönberg gehörten, interessierte Tennhaff allerdings nur ein kleiner Teil: die zehntausend Quadratmeter, die er zu bewachen hatte, damit kein Unbefugter das Gelände betreten konnte.
Von oben gesehen, wirkte die Sache einfach. Im Westen, auf freier Wiese und am Ende einer Allee, lag das Schloß. In U-Form angelegt, mit Nord- und Südflügel und Auffahrt, wirkte es selbst aus der Vogelperspektive nobel und imponierend. Zweihundert Meter westlich befand sich das alte gräfliche Rentamt. Hier stand er, hier war auch die Überwachungszentrale untergebracht. Die Organisation hatte das Gebäude für Verwaltungszwecke umgebaut. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es die alte Remise, in der der Chef der ›Schönberg-Familie‹ und damit der Chef der Deutschland-Niederlassung wohnte. Zur Zeit war das Marc Berg. Unweit davon zwischen schönen alten Bäumen standen die drei Wohnblöcke der ›Familienmitglieder‹ und schließlich noch, oberhalb des sanften Halbbogens des kleinen Baches mit seiner Brücke, das Aufnahme-Center. Dort befand sich auch der Pavillon, in dem die Neuen des ›Alpha-Kurses‹ ihren ersten Schliff erhielten.
Das war es. Und das Wichtigste blieben die Zufahrten. Der Haupteingang mit dem gewaltigen schmiedeeisernen Tor war fast immer geschlossen. Daneben gab es eine Pforte, die sich per Fernsteuerung öffnen ließ. Das Kameraauge, das das Vorgelände und jeden Besucher filmte, war unsichtbar in einem Baum untergebracht. Am Haupteingang begannen Mauern und Zaun, alles grundsolide gebaut und zusätzlich noch mit einem Sensor-Draht und Infrarot-Meldern gesichert. Der Zaun umschloß den Kernbereich, führte also auch zum Westtor, das von den Mitgliedern der Organisation und den Lieferanten benutzt wurde.
Und genau dort, an diesem Westtor, begann Tennhaffs Problem. Es trug einen Namen TCC-41, und bestand aus einem mechanischen Schwenkarm, einer elektronischen Kamera mit Weitwinkeloptik und dem Sender, der die Bilder an die Überwachungszentrale lieferte. Es gab sechs solcher Geräte, und sie hatten bisher auch ganz brav gearbeitet. Selbst bei Nacht, wenn die Spots eingeschaltet wurden, lieferten sie
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