Der Herr der zerstörten Seelen
ziemlich gute Bilder der kritischen Geländeabschnitte.
Nur die Nummer fünf wollte nicht.
Der Schwenkarm blockierte.
Und so war Tennhaff gleich nach Dienstantritt um sieben Uhr dreißig, als ihm die Nachtschicht den Schaden gemeldet hatte, zu der kleinen Brücke am Bach gelaufen, wo die Kamera montiert war. Nichts zu machen. Er hatte Werkzeug geholt, hastig ein Brötchen gegessen und es dann noch einmal versucht. Die ganze Mühe brachte nichts. Tennhaff hatte sich lediglich den Daumen aufgerissen, und der schmerzte ihn nun so sehr, daß er den heißen Kaffeebecher in die andere Hand nahm.
Er betrat die Zentrale und stellte den Becher auf den Monitor der beschädigten Kamera Nummer fünf.
Das Bild von zuvor war zu sehen: der Weg zu den Unterkünften der Neuaufnahmen, drei kleine Tannen, dahinter die Straße zum Westtor.
Nein, nichts hatte sich geändert. Oder doch?
Tennhaff schob den Kopf näher an den Schirm.
Die Tannen bildeten ein exaktes Dreieck. Und dort, wo sich ihre Zweige berührten, bewegte sich etwas. Jetzt wieder … Er sah es ganz deutlich: ein Arm, eine Schulter, nun die Kapuze eines Anoraks. Dort draußen herrschten mindestens zehn Grad minus. Wer drückte sich zwischen den Tannen herum? Die Gärtner konnten es nicht sein, bei diesem Wetter hatten die sich abgemeldet. Wer, verdammt?
Tennhaff sah auf die Uhr: acht Uhr vierzig. Topitz' Schicht hatte eigentlich schon begonnen. Und er selbst hatte genügend Papierkram am Hals. Wo blieb Topitz?
Tennhaff nahm die blaue gefütterte Jacke vom Haken und stapfte hinaus in die Kälte.
Im Schloß waren die Fenster erleuchtet. Wer nicht bei der Schulung war, arbeitete.
Der Betrieb begann um acht Uhr morgens, und nur der Teufel mochte wissen, was sie eigentlich produzierten: Glaube am Laufmeter natürlich. Denn ohne ›Gottes Welt‹ wären weder die Natur noch die Menschheit oder gar die Welt selbst zu retten …
Und dazu brauchte man Papier. Papier als Bücher, Broschüren, Prospekte, Zeitungen, Briefe an die Mitglieder, Briefe in alle Welt, Papier ohne Ende und bedruckt in allen Sprachen. Schließlich hatte GW ihre Niederlassungen in vier Kontinenten und sechsunddreißig Ländern, war eine wegen ihres sozialen Engagements und ihres Eintretens für die Umwelterhaltung meist wohlgelittene Glaubensgemeinschaft mit unzähligen Stützpunkten. Selbst Videos, Tonbandkassetten und Filme versandte die Organisation, die sich ›Gottes Welt‹, abgekürzt ›GW‹, nannte. Und dies alles war nur ein Teil. Zur Kirche kam der Konzern, kamen Geschäfte, Finanzinteressen. Was wußte Tennhaff davon? Was interessierte es ihn? Seine Aufgabe war die Sicherheit. Für die würde er garantieren, zumindest hier in Schönberg. Und auch nur, versteht sich, solange sie ihn ließen …
Er nahm das Fahrrad. Und da ihm die Sache nun wirklich merkwürdig vorkam, stieg er in die Pedale. Er wählte den kleinen asphaltierten Weg, der über einen flachen Hang zum Bach hinunter führte.
Da waren die Tannen, dunkle Schatten im transparenten, milchfarbenen Dunst.
Vielleicht war die Person schon weg?
Nein.
Tennhaff bockte das Fahrrad auf und ging näher, sehr langsam – und dann blieb er stehen.
Es waren zwei Mädchen. Das Mädchen, das er schon auf dem Schirm ausgemacht hatte, das im Anorak, sah ihm entgegen. Es war mittelgroß, schmal, sehr zart und sehr hübsch. Die Kapuze hatte sie zurückgestreift, und der eisige Wind blies ihr das Haar über das Gesicht, so daß es wie eine feine dunkle Äderung wirkte, aus der ihm zwei dunkle Augen entgegenstarrten.
»He?« sagte Robert Tennhaff. »Was ist denn mit euch?«
Er hatte das Mädchen sofort erkannt. Und nun erinnerte er sich auch an ihren Namen: Kati Folkert. Tennhaff erinnerte sich deshalb, weil sie die Tochter einer bekannten Journalistin sein sollte. Das jedenfalls hatte man ihm gesagt. Kati Folkert war eine der beiden Neuaufnahmen, die seit vier Tagen im ›Nest‹ wohnten. Ein junger Mann, einer der frei arbeitenden Organisationsmitglieder, hatte sie abgeliefert. Die andere wiederum, die Kleine, die, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, zusammengekauert zwischen den Tannen hockte, war allein nach Schönberg gekommen. Ihren Namen hatte Tennhaff vergessen. Was sollte das alles? Vor allem: Wo steckte Reto? Schließlich fiel das ›Nest‹ in seine Zuständigkeit.
»Was ist passiert?« fragte Robert Tennhaff.
»Wenn ich das wüßte«, sagte Kati Folkert. »Toni ist krank.«
»Krank? Was tut sie dann hier?«
»Sie kam in
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