Der Herr der zerstörten Seelen
Frau Folkert, aber im Augenblick kann ich Sie mit Ihrer Tochter nicht verbinden.«
Dos Herz stolperte. Sie mußte tief durchatmen, so tief, daß sie für einen Moment kein Wort herausbrachte.
Kati ist also in Schönberg …
Mein Gott, du hast sie gefunden! Dem Himmel sei Dank …
»Sie ist gerade in einem Kurs. Und ich darf da nicht unterbrechen. Ich kann sie nicht rausholen.«
»Kurs? In welchem Kurs? – Jetzt hören Sie mal«, sagte Do, und endlich hatte sie ihre alte Stimme wieder, sprach energisch und klar. »Ich bin hier in Bayreuth. Und das ist ja nicht sehr weit bis Schloß Schönberg. Sie werden doch wohl Verständnis dafür aufbringen können, daß ich meine Tochter sehen möchte. Oder daß ich zumindest die Gelegenheit haben will, mit ihr eine Begegnung zu arrangieren.«
»Einen Moment …« sagte die Stimme. Und es war wieder wie zuvor: Sitar und Gitarre.
Doch da war der Mann wieder, diesmal nicht so freundlich, nein diesmal gar nicht: »Hören Sie, Frau Folkert, ich habe mit Kati telefonieren können. Kati sagt … Es tut mir wirklich leid, doch es ist wohl am besten, wenn ich Ihnen Katis Worte zitiere. Sie sagt, sie hätte kein Interesse, Sie zu treffen. Ich bedauere, Ihnen dies weitergeben zu müssen. Sie sagte außerdem, Sie möchten sie bitte in Frieden lassen.«
»Hören Sie mal!«
»Ich kann Ihnen leider keine weiteren Mitteilungen machen, Frau Folkert. Danke, Frau Folkert. Guten Abend …«
Es war dunkel geworden.
Do hatte die Scheinwerfer angestellt. Noch ließ ein Hauch von Dämmerung flache Höhenzüge und Hügel erahnen, doch dann schluckte die Nacht auch sie.
Sie hatten Elbersreuth passiert und Wallenfels. Gelegentlich sah man die erhellten Fenster von Bauernhöfen wie winzige gelbe Quadrate. Der Verkehr war nun fast völlig erlahmt. Tommi, der neben Do im Beifahrersitz hing, stellte die Leselampe an und beschäftigte sich mit der Straßenkarte.
»Weiter vorn gibt's eine Kreuzung«, verkündete er. »Da geht's dann links ab. Dann kommt ein Dorf namens Walldorf. Von dort sind es nur noch drei Kilometer.«
»Ja«, sagte Do.
»Was heißt ja?«
»Nichts.«
»Nervös?«
»Mein Gott, Tommi, kannst du in deinem Alter nicht intelligentere Fragen stellen?«
»Was heißt denn hier: in meinem Alter? Hältst du mich für alt?«
Sie schwieg.
»Achtzehn Jahre Unterschied haben wir … Statistisch ergibt das eine geradezu ideale Differenz, weißt du das? Weißt du überhaupt, daß solche Verbindungen am längsten halten? Hab' ich jedenfalls gelesen.«
»Tommi!«
»Denn dann, stand in diesem Artikel, ergäbe sich endlich jene auf Distanz, Humor und Toleranz gegründete Harmonie, in der sich Frauen, vor allem jüngere Frauen, wohl fühlen.«
»Bitte, Tommi!«
Er legte ihr die Hand aufs Knie. »Ich wollte doch nur sehen, ob ich dich ein bißchen auf die Palme bringen kann … So was lenkt ab. Du brauchst wirklich nicht so nervös zu sein.«
»Bin ich aber.«
War sie das? Nein, sie war nicht nervös. Sie hatte einfach Angst. Wo waren die eisernen Folkert-Nerven geblieben? Was nur ist mit dir los, Do? Und was wird werden, wenn du so weitermachst? Sie rechtete mit sich selber, nein, sie haßte, verachtete sich. Viel Zeit blieb ihr dazu allerdings nicht.
Das erste Schild hatten sie auf dem Marktplatz des Dorfes entdeckt. Sie waren ihm gefolgt und hatten Walldorf auf einer Seitenstraße verlassen. Die Straße war nun nicht breiter als vier Meter, zwei Fahrzeuge hatten Mühe, aneinander vorbeizukommen. Sie führte auf einen Wald zu.
Der Wald interessierte Do nicht. Es war der helle Lichtschein dahinter. Schwarz zeichneten sich davor einzelne Baumkronen ab. Die Lichter schienen sich rechts und links der Straße zu erstrecken und verloren sich im Dunkel.
»Was ist denn das?«
Tommi knurrte irgend etwas Unverständliches.
»Es müssen jede Menge Lichter sein«, wunderte Do sich.
»Ja, Außenspots. Und ich dachte, wir fahren nach Schloß Schönberg. Dort gibt's dann lauter junge schöne, willige Sektenmädchen, die tanzen Ringelreihen, rufen den lieben Gott zu Hilfe und kriegen 'nen Freudenschock, weil sie mich sehen: Der Tommi! Was will denn der hier?«
Er ging ihr noch mehr auf die Nerven …
Sie hatten das kurze Waldstück bereits passiert und sahen ein Tor. Ein gewaltiges Tor aus Schmiedeeisen. Rechts und links zog sich eine Mauer entlang. Auf der Mauer wiederum war ein starker Zaun an dicken Eisenstreben befestigt. Und hinter allem – Licht!
»No birds«, sagte Tommi. »Nicht
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