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Der Herr der zerstörten Seelen

Der Herr der zerstörten Seelen

Titel: Der Herr der zerstörten Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dachte sie und spürte wieder diesen unmerklichen Druck im Hals, so, als würden sich lauter feine Seidenfäden zusammenziehen, Fäden der Erinnerung, der Melancholie, der Trauer. Nein, der Wut …
    Sie waren zusammen nach Bayreuth gefahren, und das noch in ihrer vielgeliebten grünen alten Affenschaukel von Ente. Es war Jans Assi-Zeit gewesen, und Do versuchte gerade ihre ersten Schritte als Volontärin im Süddeutschen Verlag. Aus Hamburg hörte sie nichts; mit ihrer Mutter steckte sie wieder einmal in einer Krise, und so hatten sie beide so wenig Geld, daß es kaum für Miete, Telefon und die Tankfüllungen der beiden Autos reichte. Aber eines Abends stand er da: Jan, der Wagner-Fan, der Liebhaber der großen Auftritte, der großen Augenblicke und der großartigen Musik. Er hatte sich bereits bei einem Kollegen einen grauenhaften, viel zu engen Smoking geliehen, knallte Do zwei sündteure Festspielkarten auf den Tisch, kaufte ihr am nächsten Tag ein Kleid, und so fuhren sie dann los.
    Sie schafften es gerade bis zum Parkplatz des Festspielhügels. Dort parkten sie die Ente und blickten sich um. Jan wurde ganz still, als er sah, was da aus den schwarzen Prachtkarossen quoll und dem Festspielhauseingang zustrebte: grell geschminkte, betagte Damen in Pelzen, Kaskaden von Diamantklunkern an streng blickenden Blondinen, fette Männergesichter über gewölbten Frackbrüsten, Bundesverdienstkreuze ohne Zahl …
    »Da hast du es!« sagte Do.
    »Nein«, sagte Jan.
    »Was nein?«
    »Ich brauch's nicht.« Er riß die Tür der Ente auf und ließ sich wieder hinter das Steuer fallen. »Das hier bestimmt nicht. Komm, steig ein.«
    Sie starrte ihn verständnislos an.
    »Na los, komm!«
    »Und die Karten?«
    »Scheiß auf die Karten! Wahrscheinlich könnte ich sie noch verscherbeln, da müßte ich aber bis zur Kasse. Wir fahren jetzt zurück und hören uns den ›Ring‹ auf der Couch an.«
    Jan – das Miststück!
    Sie fuhren nicht zurück. Zumindest nicht bis München. Kurz hinter Grafenwöhr verließ Jan die Autobahn. Gleich hinter der Tankstelle befand sich eine Pizzeria.
    Jan rannte hinein und kam mit zwei Pizza-Kartons zurück. Blau-rot waren die. Do sah das Bild ganz deutlich vor sich: Jan mit dem Kosaken-Schnurrbart, in diesem unmöglichen Smoking – und zwei blau-rote Kartons. Die warf er auf die Rückbank, dann steuerte er das nächste Dorf an, fand ein Gasthaus, verlangte ein Zimmer, holte eine Flasche Wein, legte die Pizzen auf die Kofferablage und setzte sich aufs Bett.
    »Was ist denn?« erkundigte Do sich.
    »Das frage ich dich. Du guckst mich an, als wolltest du mir gleich ein Messer in den Bauch rammen.«
    »Würde ich auch gern!«
    Sie tat es nicht, konnte es nicht, denn er zog sie an sich, gab ihr kleine Küsse auf den Hals und einen feuchten, endlos langen, beinahe brutalen Kuß auf den Mund. Und sie liebten sich auf diesem unmöglichen, durchgelegenen Bauernbett die ganze Nacht. Jan, das Miststück! – Wieso bist du nicht hier? dachte Do. Jetzt könnte ich dich brauchen! Herrgott noch mal – und vielleicht haben wir damals sogar Kati gezeugt …
    Die Telefonzelle befand sich neben der Küchendurchreiche. Do war es zuwider, beim Telefonieren beobachtet zu werden. Immerhin gab es genügend Licht, um die Nummer zu drücken, die sie Perauers GW-Broschüre entnommen hatte.
    Do spürte, wie ihre Hände, die den Hörer umklammerten, feucht wurden. Sie hätte sich dafür ohrfeigen können. Wie viele knifflige Telefonate hatte sie schon geführt! Und hier ging's um Kati. Hier ging's um die Chance, endlich mit Kati sprechen zu können.
    Ein Knacken. Dann eine klare Frauenstimme: »Schloß Schönberg. Guten Tag. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    Die reinste Hilton-Zentrale.
    Do räusperte sich den Hals frei. »Mein Name ist Folkert. Do Folkert.«
    »Ja?«
    »Könnte ich bitte meine Tochter sprechen? – Kati Folkert.«
    »Wie bitte? Wie war noch der Name?«
    »Kati Folkert.« Do sagte es laut, vielleicht zu laut. Im Grunde schrie sie es.
    »Kati Folkert«, wiederholte die Frauenstimme. »Wenn Sie sich bitte einen Augenblick gedulden würden.«
    Es wurde ein langer, quälend langer Augenblick, und die Tatsache, daß irgendein Sitar- und Gitarrengeklimper die Pause überbrücken sollte, änderte nichts daran, daß Dos Ungeduld ins Unermeßliche wuchs. Endlich knackte es wieder. Dieses Mal war ein Mann am Apparat.
    »Frau Folkert?« Er besaß eine angenehme, besänftigende Stimme.
    »Ja.«
    »Es tut mit sehr leid,

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