Der Herr der zerstörten Seelen
in ihr redete: »Kati, komm hierher. Kati, komm zu mir … Kati, bitte … Komm doch nach Hause …«
Sie erhielt keine Antwort.
»Kati, das geht doch alles nicht so … Wir müssen doch miteinander reden. Herrgott, Kati …«
Kati sagte etwas, doch es war zu leise, als daß Do es verstehen konnte. Oder der Regen war zu laut. Sie sah seine Silberschnüre im Licht, aber die Augen ihrer Tochter konnte sie nicht erkennen.
»Das geht nicht«, hörte Do sie dann etwas lauter sagen.
»Was geht nicht, Kati? Wer kann es verhindern?«
»Jetzt nicht, Mami, jetzt geht es nicht.«
Sie kannte Kati. Sie hörte an dem dünnen Schwanken der Stimme, wie schwer ihr die Worte fielen.
»Bitte!« Do sagte es zu dem Mann, flehte einen Schatten an: »Bitte, Sie können doch nicht … Sie können doch nicht im Ernst etwas dagegen haben, daß wir uns in den Wagen setzen … Wenigstens das darf sie doch …«
»Aber sicher, Frau Folkert.«
Jetzt konnte sie ihn besser sehen. Er war sehr groß und ziemlich breitschultrig. Sie erkannte auch sein Gesicht. Er war vielleicht fünfunddreißig und hatte ein gutgeschnittenes Männergesicht. Zumindest nicht die Sorte Gesicht, die Do sich bei einem Sekten-Bruder vorstellte.
»Was soll ich denn dagegen haben, Frau Folkert?«
»Dann sagen Sie ihr das.«
Der Regen. Die gelassene Stimme. Die Nacht, das Licht – ein Alptraum!
Herrgott, durchfuhr es Do. Was für eine Situation. Der Zorn kam zurück. »Sagen Sie es ihr!«
»Aber Frau Folkert, sie hört uns doch.«
Und er hat auch noch recht, dachte sie, natürlich hört sie uns.
»Mami?«
»Ja?« Do brachte den Laut kaum über die Lippen.
»Wir werden miteinander reden.«
»Wir werden? – Bitte, Kati, komm doch …«
»Nicht jetzt.«
»Nicht jetzt? Wann dann?«
»Wenn … wenn …«
»Wenn was?«
»Wenn ich soweit bin, Mami.«
»Und wann ist das?«
Do erhielt keine Antwort. Kati hatte sich umgedreht und ging nun langsam zum Motorrad.
Der Mann blieb unschlüssig stehen.
»Robert«, hörte Do ihre Tochter sagen. »Robert, bitte …«
6
Im Sommer 1982 beschloß Paul Legrand, die Welt zu retten. Daß sie dabei gründlich geändert werden mußte, ergab sich von selbst: Eines bedingte das andere …
Paul Legrand war ein neunundvierzigjähriger eminent tüchtiger Geschäftsmann aus Genf. Die weltumspannende Investment- und Finanzierungsgruppe, die er aus dem Familienvermögen und den drei väterlichen Uhrenfabriken geschmiedet hatte, wurde bereits in den frühen achtziger Jahren auf weit über siebenhundert Millionen Schweizer Franken geschätzt. Außerhalb Genfs kannte man Legrand kaum, Diskretion war für ihn Prinzip: Keine Fotos bitte und schon gar kein Interview. Doch trotz aller Presseverdächtigungen konnte nie ein Reporter nachweisen, daß Legrand sich irgendwann etwa an Mafia- und Schmutzgeldern die Hände dreckig gemacht hatte.
Wichtiger, vielleicht entscheidend für Legrands Erfolge waren die Informationen, die er in Genf als Drehscheibe und Schnittpunkt von Geheimdiplomatie und Geheimdiensten erhielt. Bei diesen weitreichenden Verbindungen und Kontakten gewann er nicht nur einen Überblick über den Zustand dieser Welt, sondern auch die Überzeugung, daß die Menschheit bald an ihrem eigenen Dreck ersticken müsse. Die Entscheidung, gerade dagegen etwas zu tun, hatte allerdings eine andere, eine sehr persönliche Vorgeschichte …
Paul Legrand war am 26. August mit seiner Privatmaschine auf dem Flughafen von Nizza eingetroffen und sofort nach Saint-Tropez gefahren. Für diesen Sommer hatte er sich nicht nur eine, sondern zwei Wochen Urlaub vorgenommen. Hier in der Provence war auch noch ein Immobilien-Deal zu erledigen.
Auf der ›Repos II‹, seiner Yacht, wartete ein Telegramm. Max Picot, der Architekt, mit dem Legrand sich treffen wollte, ließ sich entschuldigen. Dringende Geschäfte hielten ihn noch für zwei Tage in Paris fest. »Ich hoffe, cher ami , daß Sie Verständnis haben …«
Telegramme dieser Art akzeptierte Legrand aus Prinzip nicht. Picot allerdings … Nun, nicht nur im geschäftlichen Bereich, auch als Mensch war man sich nähergekommen. Picots profunde Kennerschaft auf den Gebieten Kunst, Weine, gutes Essen und vor allem Frauen hatte einiges dazu beigetragen. So beschloß Legrand, den Urlaub gemächlich anzugehen. Und auf die übliche Art …
Schon am Nachmittag des nächsten Tages meldete ihm Remo, der genuesische Bootsmann der ›Repos II‹, er habe zwei Mädchen aufgerissen. Eine sei aus
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