Der Herr der zerstörten Seelen
wissen.
»Wenn ich das wüßte.«
Er warf ihr einen seiner schnellen, spähenden Blicke zu. »Soll das heißen, daß du nicht mehr nach Starnberg zurück willst?«
»Mein Gott, Tommi …«
Sie erwischte sich bei einem erneuten Blick zum Rückspiegel. Der Spiegel zeigte diesmal auch die linke Seite ihres Gesichts, das Auge, das geschwollene Lid, die beiden Falten und das Haar, das schweißnaß und unordentlich im Gesicht klebte. Nicht unterkriegen lassen? So ein Satz wird zum Gebet. Aber ob er hilft? – Eine Sekte, ein Haufen religiöser Irrer? Aber waren sie eine Sekte? Und religiös? – Was waren sie eigentlich? Religiöse Killer?
»Fahr mich bitte ins Klinikum, Tommi«, sagte sie. »Fahr mich zu Jan …«
Sie hatten den Bodensee überflogen. Was dort unten lag, mußte St. Gallen sein. Die Landschaft wirkte weit und ruhig. Sie war manchmal von dünnem Dunst überhaucht und sah unendlich friedlich aus.
Tennhaff richtete den Kopf wieder gerade auf. Zweitausendeinhundert Fuß, dachte er, Flughöhe siebenhundert Meter. Und die Bell hier haben sie in der Schweiz registriert.
Er dachte es ganz automatisch. So wie den anderen Gedanken, der ihn unabänderlich wieder und wieder bedrängte, seit sie in Schönberg gestartet waren: Du hattest keine Chance! Nicht die geringste, nein. Nicht den kleinsten Fetzen einer Chance haben sie dir gelassen. Und Kati auch nicht …
Sie saß neben ihm. Er brauchte sie nicht anzusehen. Ihr Profil war wie in sein Bewußtsein geschnitten: Die runde Stirn, die hübsche kurze Nase, die Lippen, die nichts als Trauer, Fragen und die ergebene Resignation eines Kindes ausdrückten. Und dann die Augen …
Keine einzige Möglichkeit hatten wir, dachte Tennhaff wieder. Und die ganzen drei beschissenen Minuten vor dem Start, in denen du Kati so etwas wie eine Erklärung, ein Signal geben konntest, haben auch nichts genützt.
Der Pilot hatte irgend etwas an der Maschine geprüft, während Ted Rocca noch draußen stand und mit Marc Berg diskutierte.
Drei Minuten, um all das loszuwerden, was er, Tennhaff, ihr sagen mußte … Die Lüge, sie bekäme mit dem Flug die Möglichkeit, ihren Alpha-Kurs im Europa-Zentrum in Cannero fortzusetzen, hatte sie Marc Berg wohl ohnehin nicht abgenommen. Kati hatte kaum zugehört. Jedenfalls hatte sie keinerlei Reaktion gezeigt.
»Was soll das mit Cannero, Robert?« hatte sie geflüstert. »Und warum fliegst du mit?«
»Das weiß ich nicht, Kati. Der Ami will das so. Er ist mein Chef.«
Ted Rocca war zu diesem Zeitpunkt noch immer draußen, doch der Pilot kam in die Maschine zurück. Wenn er den Motor startete, das war klar, würde der Krach jedes weitere Gespräch unmöglich machen.
An der Innenseite seiner Jacke spürte Tennhaff den Druck der Tukarew. Er hatte die Waffe eingesteckt, ehe sie sich am Hubschrauber trafen. Und dabei war ihm zum ersten Mal der Gedanke gekommen: Warum zwingst du nicht den Piloten, zu starten und zum nächsten Polizeiposten zu fliegen? Oder du schmeißt ihn raus? Notfalls würdest du die Kiste auch selbst in die Luft kriegen. Deine Hubschrauberprüfung hast du schon vor acht Jahren bestanden und die Russen-Kisten, die ihr damals geflogen habt, werden sich von diesem Gerät hier auch nicht dramatisch unterscheiden …
Roberts Gehirn wog blitzschnell die verschiedensten Möglichkeiten gegeneinander ab. Seit dem Zeitpunkt, als die erste Benommenheit gewichen war, die Ted Roccas Eröffnungen hervorgerufen hatten, tat es nichts anderes. Aber jede dieser Überlegungen endete immer an einem Punkt: Unternimm nichts, was dich verdächtig macht und dich in Gefahr bringt. Es ist der einzige Weg, dem Mädchen zu helfen. Nur so kannst du Kati schützen und dafür sorgen, daß sie aus dieser Schweinerei heil wieder rauskommt …
»Hör zu, Kati. Wenn wir in Cannero sind, versuch dich möglichst häufig in meiner Nähe aufzuhalten oder mit mir in Kontakt zu kommen.«
»Kennst du Cannero?«
»Nein.« Er verfluchte sich dafür. »Jedenfalls, Kati, wenn wir fort sind, halte mich über alles auf dem laufenden.« Sie nickte. Ihre Lippen waren sehr blaß. Ihr Blick verriet nicht nur Zweifel und Unbehagen, sondern Angst. »Du hältst dies auch nicht für richtig, nicht wahr, Robert? Ich meine, daß ich mit muß.«
»Nein.«
»Und du machst dir Sorgen.«
Er nickte.
»Was wollen sie? Was soll das alles überhaupt, Robert? Ich kam doch nur hierher, um zu arbeiten … Weil … weil ich mir etwas Gutes versprach. Nicht nur für mich, auch für
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