Der Herr der zerstörten Seelen
ja?«
»Wird gemacht, Herr Professor.«
»Und lassen Sie keinen zu mir.«
»Alles klar, Herr Professor.«
Er schob Do einen Stuhl hin und machte ein besorgtes Gesicht. »Herrgott, Do, du siehst schon wieder aus, als brauchtest du gleich 'ne vierzehntägige Schlafkur.«
Sie nickte wieder. Ihr war nicht nach Sprüchen zumute.
»Nun setz dich doch.«
Sie blickte über seinen Schreibtisch. Neben der Bleistiftschale, in der unter all den Stiften und Kugelschreibern irgendein chirurgisches Instrument blitzte, stand eine Fotografie in einem hübschen geschnitzten Holzrahmen. Sie erkannte Kati, eine braungebrannte, lachende fünfzehnjährige Kati im Bikini. Das Foto war wohl während irgendeiner der Toscana-Urlaube geschossen worden, in denen Jan sie immer mitgenommen hatte. Er hatte das Bild so gestellt, daß er seine Tochter bei der Arbeit ansehen konnte.
Es rührte Do. Doch was nützte das …
»Do«, vernahm sie seine vorsichtige Stimme, »ich hab' nochmals nachgedacht. Wir sollten …«
»Das ›wir sollten‹ nervt mich langsam. Ich hab' es zu oft gehört.«
»So? Es nervt dich …«
Er rutschte von der Schreibtischkante, war mit drei Schritten an einem Fach, riß es auf, griff hinein, holte etwas heraus und funkelte Do aus seinen etwas schräg geschnittenen Augen an.
»Völlig richtig. Mich auch! – Wir werden das hier nehmen.«
Der Gegenstand in seiner Hand machte einen erheblichen Krach, als er von Jan auf die Schreibtischplatte geworfen wurde. Er kreiselte und kam zum Liegen. Do sah genau hin und traute ihren Augen nicht: Es war eine Pistole. Und wie sie so dalag, sah sie gefährlich und ziemlich bösartig aus. Do schloß gequält die Augen. Ihr war noch schwächer, noch elender zumute als zuvor.
»Und was soll das nun wieder? Wo hast du das Ding überhaupt her?«
»Hab ich mir besorgt.«
»Und was willst du damit?«
»Na, was denkst du? Was wohl, Do? Damit fahre ich nach Schönberg und hole sie raus.«
»Du allein?«
»Hältst du mich für blöd?« In seinem Gesicht erschien der wütend-trotzige Jungenausdruck, den sie so gut kannte. »Natürlich nicht. Ich hab' ein paar Freunde mobilisiert. Oder sagen wir mal, Bekannte.« Er zwirbelte seine Bartspitze.
»Und die stammen natürlich aus irgendeinem Milieu oder irgendeiner ganz harten Szene und sind allesamt furchtbar tough!«
»Hast du einen anderen Vorschlag? Ich weiß keinen. Also sehe ich auch nicht das Geringste, was es da zu ironisieren gäbe.«
»Ich auch nicht«, sagte sie wahrheitsgemäß. »Das Problem ist nur, daß du nicht weißt, mit wem du es zu tun hast.«
»Weißt du es?«
»Ja, Jan. Ja, ich weiß es. Seit heute.« In kurzen, dürren Stichworten berichtete sie.
Er ließ sich in seinen Sessel sinken. »Wahnsinn … Wahnsinn ist das doch!«
»Richtig. Und mit Methode. Kann ich mal dein Telefon benutzen? Ich muß Hanne anrufen. Bitte, wähl du die Nummer.«
Er drückte die Tasten, klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Kopf und sah sie an. »Und du glaubst, die meinen das ernst mit dieser Drohung?«
»Was soll ich denn sonst nach deiner Meinung glauben? Der Mann auf der Autobahn, wollte er mich erschrecken? Wollte er mich umbringen? Wahrscheinlich nur erschrecken, denn ich muß schließlich noch mein Päckchen abliefern.«
»Wie kommen die bloß auf die Idee, daß du ihre Scheißdisketten …«
»Frag mich was Einfacheres, Jan.« Sie wurde langsam nervös. »Wie ist das, meldet sich Hanne nicht?« Er schüttelte den Kopf und legte auf.
»Sonderbar. Es ist jetzt drei Uhr. Und um drei kommt sie immer, um nochmals zu lüften oder ihre Einkäufe abzustellen und das Abendessen vorzubereiten …«
Do holte ihr Telefonbuch aus der Tasche und gab ihm eine zweite Nummer: Die von Hanne Mosers Privatanschluß in Starnberg. Jan tippte sie ein. Wieder vergeblich.
Sie sahen sich an.
Ja, das war sonderbar. Doch schließlich: Warum sollte Hanne für diesen Nachmittag nicht irgend etwas anderes vorgehabt haben, das sie Do verschwiegen hatte? Irgendeine private, persönliche Geschichte, die sie davon abhielt, ihre üblichen Arbeiten zu erledigen.
»Und jetzt?« fragte Jan.
Da lag noch immer die Pistole. Sie wirkte nicht mehr so bedrohlich wie zuvor. Irgendwie erinnerte sie Do auf einmal an ein Kinderspielzeug. »Die haben alle Möglichkeiten, Jan. Wirklich alle … Und besser ist es, daß wir uns das in den Kopf schreiben. Sie haben endlos Geld, endlos Beziehungen, zumindest scheinen sie das in den anderen Ländern zu haben.
Weitere Kostenlose Bücher