Der Herr der zerstörten Seelen
einfach und zugleich beschämend barbarisch war, machte Jan einen Topf Wasser heiß und legte das Hauptgericht, Hirsch mit Rotkohl, praktisch in Plastik verpackt, ins heiße Wasser.
Dann ging er zu Do, setzte sich neben sie, trank ein Glas Wein, aß selbst, wischte etwas Fett mit einem Stück Brot vom Teller, verschränkte die Hände im Nacken, lehnte sich in dem Ikea-Sessel zurück und fühlte sich schon ein wenig wohler.
»Nun komm, Do! Iß schon auf. Das ist erst die Vorspeise.«
Doch sie stocherte weiter mit der Gabel auf dem Teller herum.
»Bitte, Do …«
Sie legte den Kopf schief und widmete ihm ein klägliches Lächeln.
»Do, was du brauchst, sind gute Nerven. Sind wir uns da einig? Na, siehst du. Aber die gibt's nicht geschenkt. Die gibt es nur durch Nahrungszufuhr, Proteine, Kohlenhydrate und alles, was noch dazugehört. Soweit kannst du folgen?«
»Ach, Jan! Kann ich … Und du hast ja recht. Aber hör auf.«
»Und wie recht ich habe, wirst du gleich sehen, wenn ich dir mein Hauptgericht auf den Tisch zaubere.«
Sie nahm einen Schluck Wein.
Jan war wirklich rührend, nein, er war unglaublich! Aber Eier und Schinken als ›erster Gang‹? Und dazu diese unglaubliche Geschichte von dem Einbruch in seinem Haus, dem Beinnaheeinbruch, die er gerade erzählte?
»Hör zu, Do: Du darfst jetzt nicht böse sein, aber wenn man das alles so betrachtet, dann bleibt trotzdem die Frage, ob wir nicht vielleicht etwas überzogen reagieren.«
»Wir? – Du meinst wohl mich?«
»Wir. Schließlich hocken wir zu zweit in einem Kellerkabuff bei Rührei und Schinken vom Supermarkt, statt im ›Tandris‹ Kaviar zu bestellen, wie uns da ja wohl zusteht …«
»Hör auf mit dem Quatsch! – Was meinst du?«
Er sagte es ihr. »Dieser Anruf, dein angeblicher Disketten-Diebstahl in Hilpers Haus, der Rambo auf der Autobahn, die Clowns mit den Kameras, die Autoszene im Klinikum, der Alarm in Bogenhausen, selbst der Brief dieser amerikanischen Anwälte – klar, dies alles ergibt einen Zusammenhang …«
Aber genauso richtig sei, fuhr er danach fort, daß es sich um eine Kette von Zufällen handeln könne … Und außerdem existierten genug überzogene Spinner, die ihre Methoden hätten, andere Leute in Panik und Furcht zu versetzen, um irgendein Ziel zu erreichen. »Die gibt's überall, Do! Und vor allem wohl bei Sekten.«
»Genau das habe ich mir auch schon überlegt.«
»Und?«
»Und?« Ihr Gesicht war wieder lebendig. »Das sind keine Zufälle, und das sind auch keine Irren, Jan. Die handeln nach Fahrplan. Die haben eine raffinierte, genau kalkulierte Strategie … Die glauben, was sie sagen. Die meinen tatsächlich, wir hätten ihre Staatsgeheimnisse geklaut. Und sie werden auch tun, was sie angekündigt haben. Sie haben die Mittel dazu, gewaltige Mittel. Ich habe noch vierundzwanzig Stunden Zeit, um diese Scheißphantom-Disketten abzuliefern. Einen Tag, Jan! Und dann geht das erst richtig los. Für die bin ich so eine Art Leiche auf Abruf …«
»Aber Do!«
»Nichts ›aber Do‹! – Und sie haben noch etwas: Sie haben Kati.«
Er schwieg. Es war nicht die Angst um seine Tochter, die sein Herz antrieb, es war wohl das gleiche Gefühl, das Do die ganze Zeit über empfunden hatte und das nun auch ihn ansteckte: eine Form von zorniger, zugleich lähmender Ohnmacht.
»Tommi nimmt die Sache jedenfalls so, wie sie es wohl verdient: tödlich ernst. So ernst, daß er hier nicht anrufen will, weil er befürchtet, sie könnten seine Gespräche abhören.«
Do zuckte zusammen. Das Telefon summte. Jan sah sie an. »Beruhige dich, Jan: Es gibt nur eine einzige Person, die außer uns diese Nummer weiß.« Sie griff nach dem Hörer. »Und diese Person ist absolut sauber. Ein Neffe von Hanne … Vielleicht meldet sich auch Hanne endlich.«
Jan hörte, wie sie »Ja« sagte, erkannte, wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich, das nun so weiß wurde wie die Wand dahinter. »Das ist doch nicht wahr!« Es war nur ein Flüstern. »Nein, bitte, nein … O Gott!«
Der Hörer glitt aus ihrer Hand.
Jan griff danach und und rief: »Hallo?«
Doch da war nichts als das Rauschen der Leitung. Er legte auf.
Do hatte sich erhoben. Sie ging unsicher, die Arme ausgebreitet, als kämpfe sie um ihr Gleichgewicht. Sie sank auf der breiten Bettcouch in der Ecke zusammen. Sie zog die Knie an und vergrub ihr Gesicht in beiden Händen. Ihre Schultern zuckten.
Jan stand auf und ging zu ihr. »Do? Um Himmels willen, Do, was ist denn?«
»Nein«,
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