Der Herr der zerstörten Seelen
Reisigzweig, der auf dem Terrassenpflaster lag. »Das da stammt von der Rosenumhüllung … Muß an seinen Schuhen hängengeblieben sein. Und da, die Erdspuren auf dem Zement … Genau bis hierher kam er nämlich. Daneben ist der Infrarotmelder der Alarmanlage. Den hat er nicht gesehen. Der ist nämlich ganz hübsch getarnt.«
»Aha.«
»Ja, und dann legte die Sirene los, und die Lichter gingen an. Da ist er wohl abgehauen. Schlösser, Türen, Fenster, alles okay.«
»Er? Was für ein Er? Meinen Sie einen Einbrecher?«
Der Mann starrte ihn aus runden, fragenden Augen an. »Was sonst, Herr Professor? Oder haben Sie einen bestimmten Verdacht?«
»Ich? O nein … Natürlich nicht.«
Jan wandte sich wieder dem Ausgang zu. Der Mann begleitete ihn. »Wollten Sie nicht nach Hause, Herr Professor?«
»Eigentlich schon. Aber ich habe noch einen dringenden Besuch zu erledigen.« Jan blieb stehen. »Sagen Sie mal. Könnten Sie mir einen Gefallen tun und heute hier etwas häufiger als sonst Ihre Runden drehen?«
»Aber selbstverständlich, Herr Professor.« Der Wachmann legte den Zeigefinger an den Rand seiner Mütze. »Das hätten wir sowieso so gehalten. Machen wir in solchen Fällen immer.«
»Dann herzlichen Dank …«
Jan stieg in den Porsche, und sein Blick streifte dabei die beiden großen Einkaufstüten auf dem Rücksitz. Er öffnete das Wagenfenster. »Ich schick Ihnen 'ne Flasche Whisky in Ihre Außenstelle.«
Er gab Gas und fuhr davon. Ruhig bleiben, bloß nicht hysterisch werden. Aber wie macht man das?
Es war der reine Zufall, daß Tommi Reinecke den toten Schopi fand …
Er war vom Klinikum zurückgefahren, hatte die Isar überquert und einige Haken geschlagen, wobei er immer wieder den Rückspiegel beobachtete. Dos Manie schien ansteckend. Tommi hatte sogar ein paarmal die Geschwindigkeit verändert, war ganz langsam, dann wieder schneller gefahren, um festzustellen, ob jemand ihm folgte. Nichts. Fehlanzeige.
Als er schließlich in der Agnesstraße eintraf, geschah das Wunder, daß er keine zehn Meter von der Wohnung entfernt einen Parkplatz entdeckte. Er stellte Lobkos Wagen ab, und gerade, als er dabei war, die Tür zu verschließen, fiel sein Blick auf die Rückbank. Was er dort entdeckte, waren drei Plastiksäcke mit leeren Weinflaschen. Typisch Lobko …
Also öffnete Tommi die Tür erneut und schnappte sich die drei Tüten. Diesen Gefallen war er Lobko schuldig. Falls er das Zeug nicht wegbrachte, würde Otto es noch monatelang durch die Stadt kutschieren. Er kannte ihn doch …
Tommi suchte sich seinen Weg durch den Hinterausgang in den Hof, wo die drei Container standen, hob den Deckel des ersten an, in dem Glas entsorgt wurde, und wollte die Flaschen hineinwerfen.
Er schaffte es nicht. Die Flaschen klirrten zu Boden. Glas splitterte, und Tommi stand ganz still. Irgendwo in ihm brannte noch die aberwitzige Hoffnung, es sei nicht wahr, er habe sich getäuscht, das dort drüben sei etwas anderes, eine weggeworfene zerbrochene Puppe mit einem weißen Dreieck auf der Stirn oder eine andere tote Katze, die gleichfalls vier weiße Pfoten besaß. Und auch die im Hoflicht glitzernde Blutlache existiere nicht, dies alles sei nur ein Traum. Gleich würde Schopi einen Buckel machen, sich strecken und auf ihn zugehen – und wußte doch bereits, daß er sich nur Illusionen machte.
»Schopi!«
Tommi schaffte die fünf Meter, ging in die Knie, kauerte sich nieder, streckte die Hand aus. Er glaubte, unter dem Fell noch Wärme zu spüren. Als er die Finger zurückzog, waren auch sie blutig.
»Nein … O Schopi …«, flüsterte Tommi.
Er legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Sein Wohnzimmerfenster, das einzige, von dem aus der schreckliche Sturz geschehen sein konnte, war geschlossen. So wie zuvor, als er die Wohnung verlassen hatte. Alles war zu, alles verriegelt.
Tommi tastete wieder über den schmalen kleinen Körper, über das sanfte, so vertraute Fell. Er drückte wieder ein wenig und spürte, daß die Knochen gebrochen waren. Das Schlimmste mußte der Aufprall gewesen sein … Genauso schlimm aber war es, die Folgen zu betrachten: Blutrinnsale aus Nase und dem kläglich geöffneten Mund. Der Innendruck des eingedrückten Schädels hatte die Augen, Schopis herrliche grüne Augen, weit herausgetrieben, so daß sie schimmerten wie zwei schreckliche runde Glasmurmeln.
»Schopi …«
Tommi nahm einen der Plastiksäcke, ließ die Flaschen über den Zement rollen, auf dem Schopi
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