Der Herr des Traumreichs
Garth und Joseph offen an. »Oder wolltet Ihr Eurem Sohn das Haar färben, um ihn dem Volk als Thronfolger zu verkaufen?« Cavor lachte kurz auf und wurde sofort wieder ernst. »Dieser Abgrund von Verrat schmerzt und« – jetzt flüsterte er nur noch – »betrübt mich zutiefst.
Egalion.«
Der Gardehauptmann trat an die Seite des Königs und reichte ihm das verhüllte Tablett, doch dabei hob er den Kopf und sah Garth und Joseph an. Seine Haltung war selbstbewußt, aber seine Augen blickten verstört.
Cavor bemerkte es nicht. Die Unruhe im hinteren Teil des Saals hatte ihn verunsichert, er wünschte, er hätte dem Pöbel von vornherein den Zutritt verboten. Aber ein Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit hätte womöglich den Eindruck erweckt, er habe etwas zu verbergen, und so hatte er die Türhüter angewiesen, so viele Zuschauer einzulassen, wie der Gerichtssaal zu fassen vermochte.
Nun wollte er die Sache rasch zu Ende bringen. Er befahl Egalion mit einer Handbewegung, einen Schritt vorzutreten, damit alle ihn sehen konnten, und sich den Gefangenen auf der Anklagebank zuzuwenden. Dann faßte er eine Ecke des roten Samts, hob die Augen und sah auf die Baxtors hinab.
Beide erwiderten den Blick mit einer geradezu herausfordernden Ruhe, die Cavor bestürzte.
Er schluckte krampfhaft. »Sehet das Urteil«, rief er und zog das Tuch rasch beiseite.
Die Axt der Gerechtigkeit blitzte im Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster in den Saal fiel.
Die Schneide war eindeutig auf die beiden Angeklagten gerichtet.
Der Tod.
Hätte die Schneide von den Gefangenen weg gezeigt, dann wäre das Urteil zu ihren Gunsten ausgefallen. Aber sie hatten beide nie daran gezweifelt, daß das scharfe Eisen auf sie deuten würde.
Wieder durchlief ein Raunen den Saal.
Cavor war kreidebleich geworden. »Der Tod«, flüsterte er.
»Egalion? Ich fordere Euch auf, das Urteil auf der Stelle zu vollstrecken.«
Auf dem Geviert
Der große Platz von Ruen war achteckig, wurde aber von jeher nur ›das Geviert‹ genannt. Vom königlichen Palast und seinen Gebäuden nur durch eine breite Allee getrennt, diente er verschiedenen Zwecken: Er war Markt (selbst die zweimal wöchentlich stattfindenden Markttage mit ihren vielen Besuchern und Händlern vermochten die riesige Fläche nicht zu füllen), Vergnügungsgelände, Exerzierplatz, Begegnungsstätte oder, wie heute, auch Richtstätte.
Ob es an den Gerüchten lag, die der Waldhüter Alaine –
vielleicht mit Unterstützung des Persimius-Ordens – so eifrig verbreitet hatte, oder an dem an sich schon ungewöhnlichen Fall – schließlich ging es nicht nur um Hochverrat (was seit mehr als einer Generation nicht mehr vorgekommen war), sondern auch um den Heiler Baxtor und dessen Sohn –
jedenfalls war das riesige Geviert heute bis auf den letzten Platz gefüllt.
Trotz der vielen Menschen war es ungewöhnlich still. Garth kannten nur wenige, aber Joseph war – wie vor ihm sein Vater und sein Großvater – beim einfachen Volk von Ruen beliebt und deshalb unvergessen geblieben. Alle Baxtors verfügten in hohem Maß über die Gabe der ›heilenden Hände‹, ohne sich deshalb ihre Dienste mit Wucherpreisen bezahlen zu lassen.
Wenn sie wußten, daß sich der Patient oder seine Familie in Geldnöten befanden, verzichteten sie sogar oft genug mit einem Lächeln auf jegliches Entgelt.
Und Joseph hatte dem alten König und seinem Sohn Maximilian sehr nahe gestanden. Wie oft waren Joseph Baxtor und der junge Prinz Seite an Seite fröhlich lachend über diesen Platz geschritten und hatten jeden, der bei ihnen stehenblieb, freundlich begrüßt!
Maximilian. Die Menge wartete gespannt. In den letzten Tagen hatten sonderbare Gerüchte die Stadt in Unruhe versetzt. Niemand wußte, woher sie kamen und inwieweit sie der Wahrheit entsprachen.
Maximilian. Mit vierzehn Jahren entführt. Zur Sklavenarbeit in die Adern verbannt. Dank seiner unerschütterlichen Willenskraft mit Hilfe mächtiger Zauberer befreit.
Würde er zurückkommen und Anspruch auf Escators Thron erheben? Wann? Und was würde dann aus Cavor? Da und dort wurde gemunkelt, Cavor selbst hätte die Verschleppung des jungen Prinzen geplant. Doch darüber wurde nur im Flüsterton im engsten Familienkreis gesprochen.
Der Prozeß gegen die Baxtors (wenn man dieses Scheinverfahren überhaupt so nennen konnte) bestätigte nach Meinung vieler Cavors Schuld – insbesondere dann, als neue Gerüchte auftauchten, wonach Garth Baxtor bei
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