Der Herr des Traumreichs
oder sich zu bereichern? Joseph wußte es nicht, und es war ihm auch herzlich gleichgültig.
Die Menge war umringt von Soldaten, mindestens vier Schwadronen von Egalions erfahrensten Leuten. Sie verzogen keine Miene, aber jeder Muskel ihres Körpers war angespannt.
Egalion selbst stand an einer Seite des Podests und wartete, schweigend wie alle anderen, auf Cavor.
Den Angeklagten gegenüber stand die leere Geschworenenbank. Joseph fand den Anblick nicht gerade ermutigend, aber Verhandlungen wegen Hochverrats wurden schließlich immer ohne Geschworene geführt.
Er ließ eine Hand unauffällig sinken und berührte mit sanftem Druck die Hüfte seines Sohnes. Erfreut spürte er, wie sich dessen Muskeln ein wenig entspannten. Bevor seine Bewacher es sehen und den Kontakt unterbrechen konnten, ließ er alle Liebe durch seine Finger strömen, die er zu geben hatte.
Daß Garth in diese Falle geraten war, belastete ihn mehr als alles andere. Der Junge war noch viel zu jung, um zu sterben.
Im nächsten Augenblick wurden alle Anwesenden aus ihren wie auch immer gearteten Gedanken gerissen. Cavor betrat durch eine Tür am hinteren Ende den stillen Saal und ging mit forschen Schritten auf das Podest zu. Er trug das blaue Gewand mit dem Bärenfell, die Amtstracht des Obersten Richters. Darunter sah Joseph einen blanken Harnisch mit dem Wappen des Manteceros aufblitzen.
Der Heiler verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln.
Hatte Cavor es wirklich nötig, sich vor Maximilians Rückkehr hinter einer Rüstung zu verstecken?
Doch das Lächeln erlosch gleich wieder. Joseph hatte erhebliche Zweifel, daß Maximilian selbst mit Unterstützung durch Ravennas und Vorstus’ übernatürliche Kräfte imstande wäre, ihn und seinen Sohn vor dem Untergang zu retten.
Im Gegensatz zu seinem Vater war Garth fest davon überzeugt, daß Maximilian sie retten werde. Sie hatten das Recht auf ihrer Seite, und wenn an diesem Tag ein Urteil erginge, dann würde es sich doch gewiß gegen Cavor richten und nicht gegen ihn selbst oder seinen Vater.
Garth beobachtete, wie Cavor seinen Platz einnahm, und seine Züge verhärteten sich. Der König hatte es betont vermieden, sie anzusehen. Bevor er sich auf dem Richterstuhl
– einem hölzernen Thronsessel mit hoher Lehne und üppigen Schnitzereien – niederließ, ordnete er umständlich sein Gewand. Als er schließlich den Kopf hob, stellte Garth fest, daß er auf seine Gesichtszüge nicht weniger Sorgfalt verwendet hatte. Sein Antlitz strahlte zu gleichen Teilen Trauer und Enttäuschung aus. Ganz der König, der von Menschen, denen er blind vertraut hatte, aufs schmählichste verraten worden war. Garth mußte ihn bewundern; kaum jemand von den Anwesenden hätte tief genug unter diese Maske sehen können, um zu den Lügen und Geheimnissen vorzudringen, die Cavor seit siebzehn Jahren hütete.
Weit hinten steckte einer der Straßendiebe die Hände zur Abwechslung einmal in die eigenen Taschen und verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. Er hatte die Gerüchte, die sich in den letzten Tagen auf den Straßen verbreitet hatten, so eifrig gesammelt wie sonst nur das Geld seiner Mitmenschen.
Allerdings hatte er sie weitergegeben – was er mit den gehorteten Münzen im allgemeinen nicht tat.
Doch Garth konnte die Menschen im hinteren Teil des Saales leider nicht sehen. Ein Gardist versetzte ihm einen Stoß in den Rücken, und er und sein Vater standen auf.
Cavor hob den Kopf. Sein Gesicht war ernst und gefaßt, doch aus seiner Stimme sprach der Gram des Betrogenen. »Meine geliebten Untertanen. Sosehr ich es bedauere, ich mußte Euch heute in diesem Saal versammeln. Auf der Anklagebank« – er sah Joseph und Garth nicht an – »sitzen zwei Männer, die ich einst zu meinen Freunden zählte. Ich vertraute ihnen nicht nur meine Geheimnisse an…«
Aber nicht alle, dachte Garth bitter.
»… sondern sogar mein Leben.« Cavor erschauerte theatralisch und schloß kurz die Augen. »Ich war mit ihnen allein, sie hätten mir das Messer in die Brust stoßen können.
Fragt mich nicht, warum sie es nicht taten. Vielleicht fehlte ihnen der Mut.« Er hielt inne. »Aber ich will nicht abschweifen.«
Seine Stimme gewann an Kraft, er richtete sich auf. Seine Wangen röteten sich leicht, als hätte ihn das ungeheuerliche Verbrechen der beiden Baxtors mitten ins Herz getroffen. »Der Heiler Joseph aus Narbon und sein Sohn und Schüler Garth sind des Hochverrats in seiner schändlichsten und verwerflichsten
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