Der Herr des Traumreichs
seine Gürteltasche.
Der Wortführer der Gruppe überflog den Brief, den Joseph ihm reichte, mit starrem, argwöhnischem Blick. Dann scharrte er mit den Füßen und schaute wieder auf. »Hat Furst das schon gesehen?«
»Ja.«
Der Wärter zögerte kurz, doch es bestand kein Anlaß, den Heiler und seinen Sohn noch länger festzuhalten. »Fort mit Euch… aber haltet dieses Schreiben griffbereit. Ihr müßt in Myrna noch an mehreren Posten vorbei.« Damit machte er kehrt und verschwand mit seinen Leuten in einer Seitengasse.
Beim Anreiten warf Garth einen Blick über die Schulter. Die drei Frauen auf der Veranda hatten die Szene in atemloser Spannung beobachtet.
»Komm schon, Garth«, murmelte Joseph, »bevor zu viele Leute auf uns oder auf sie aufmerksam werden.«
Auf der Hauptstraße wurden sie noch ein weiteres Mal von einer Streife angehalten, doch am größten waren die Schwierigkeiten vor der Einmündung in die Landstraße nach Ruen.
Hier stand eine Gruppe von zehn Wärtern, die alles besonders gründlich durchsuchten. Gerade eben waren etliche Fuhrwerke und Reiter sowie ein Mann mit Dutzenden von Schafen Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit. Am eifrigsten beschäftigten sie sich mit dem Schäfer, einem zerlumpten, schmutzigen Burschen, dem man deutlich ansah, daß er seit längerem im Freien lebte.
»Verflucht«, stöhnte Joseph leise, und Garth sah ihn erschrocken an.
»Vater?«
Sie hatten hinter der Barriere aus Pferdefuhrwerken, Reitern und Schafen angehalten. Joseph beugte sich zu seinem Sohn hinüber und zischte. »Was immer geschieht, du verhältst dich genauso wie ich!«
Der scharfe Ton schüchterte den Jungen ein. Er nickte nur und schaute wieder nach vorn. Irgendwo in diesem Durcheinander befand sich Maximilian. Sein Blick streifte den Schäfer.
Drei Wärter verhörten ihn und untersuchten auch das kleine Bündel, das er auf der Schulter getragen hatte. Der Mann trat von einem Fuß auf den anderen und umklammerte ängstlich seinen Stab. Zunächst vermied es Garth, ihn allzu auffällig anzustarren, doch dann bemerkte er, daß auch alle anderen neugierig hinsahen, und ließ das Versteckspiel sein.
Der Schäfer stand mit dem Rücken zu ihm, aber Garth sah, daß er groß und hager war. Das schwarze Haar hing ihm tief ins Gesicht. Die Hände, die den Stab umklammerten, waren schmutzverkrustet, und ebenso schmutzig waren auch seine Kleider. Garth spürte, wie sich sein Magen schmerzhaft zusammenzog. Er mußte sich eisern beherrschen, um seinen Vater nicht anzusehen. Steckte unter dieser Tarnschicht etwa Maximilian?
Ein Wärter, der bei einem der Wagen gestanden hatte, schlenderte auf die Gruppe um den Schäfer zu und musterte dabei die Neuankömmlinge. Plötzlich wurden die Stimmen lauter. Einer der Wachposten wollte nach dem Schäfer greifen, und der wich einen Schritt zurück.
Garth hörte, wie sein Vater neben ihm erschrocken aufkeuchte.
Der Schäfer und die vier Wärter redeten erregt aufeinander ein. Garth brach der Schweiß aus. Die Schafe begannen sich zu verlaufen und nach Futter zu suchen.
Der Schäfer deutete aufgebracht auf seine Tiere, die Wärter schüttelten entschieden die Köpfe. Ihr Mißtrauen wuchs, ihre Augen wurden zusehends schmaler.
Endlich hob der vierte Mann, der Joseph und Garth beobachtet hatte, den Kopf und winkte beide nach vorn. Garths Magen rebellierte noch heftiger.
»Heiler!« rief der Wärter. Garth erkannte ihn. Er gehörte zu den Männern, mit denen sie am Abend zuvor gesprochen hatten. »Hierher!«
Joseph warf seinem Sohn einen warnenden Blick zu und ritt an. Garth folgte ihm. Sie drängten sich durch die Menge, die auf die Weiterreise wartete. Da und dort erhoben sich Stimmen, die sich über die lange Verzögerung beklagten, und aus einem Wagen mit mehreren Frauen rief ein hübsches Mädchen schmollend: »Heda! Und wann dürfen wir vorbei?«
Die Wärter achteten nicht auf die Klagen. Zwei von ihnen hatten den Schäfer gepackt, und alle anderen, auch diejenigen, die am Straßenrand postiert waren, hatten nur Augen für ihn.
»Baxtor«, sagte der Wärter, als Vater und Sohn hinter dem Schäfer anhielten, »wir haben hier einen Verdächtigen.
Niemand kennt ihn. Seht Ihr, wie schmutzig er ist? Sieht aus, als käme er geradewegs aus den Adern !«
Der Schäfer zappelte und lamentierte zum Steinerweichen.
Ein anderer Wärter bedeutete Joseph und Garth, von ihren Pferden zu steigen. »Ihr kommt uns wie gerufen. Könnt Ihr den Mann untersuchen? Diese seltsamen
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