Der Herr des Traumreichs
zu Anfang gestolpert und in einen der aufgelassenen Schächte gestürzt«, versuchte ihn Joseph zu beruhigen.
»Wenn es nur so wäre!« flüsterte Furst und winkte die beiden hinaus.
Draußen bestiegen sie ihre Pferde. »Vater«, fragte Garth,
»willst du mir nicht endlich verraten, was hier eigentlich vorgeht?«
Joseph holte tief Atem – das erste Mal, daß er Unsicherheit zeigte – und lenkte sein Pferd auf die Straße. »Wir stoßen sicher bald auf sie, Garth. Spätestens auf der Straße hinter Myrna, wenn nicht schon früher.«
»Aber die Wärter…«
Joseph grinste, aber seine Augen blieben ernst. »Ich halte es für sehr gut möglich, daß die Wärter nicht allzu viel Notiz von uns nehmen werden, Garth. Und jetzt komm.«
Garth beherrschte seine Neugier, trieb sein Pferd an und zog das Packpferd am Führseil hinter sich her. Einige Wärter, die auf dem Weg zum Schacht waren, winkten ihnen zu, aber heute lächelten sie nicht mehr. Furst hatte sie gezwungen, die ganze Nacht nach Sträfling Nummer
achthundertneunundfünfzig zu suchen, nun brannten ihnen vor Müdigkeit die Augen, und sie waren schlecht gelaunt und mürrisch.
Joseph wartete, bis sie die Männer weit hinter sich gelassen hatten, dann sagte er leise zu seinem Sohn: »Wenn uns Wärter ansprechen sollten, mußt du vorsichtig sein, Garth. Heute gehen ihnen die Scherze nicht mehr so locker von den Lippen wie vergangene Nacht.«
Garth nickte. Über Tage war die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt, und wenn er daran dachte, wie es unter Tage zugehen mochte, überlief es ihn eiskalt. Furst setzte die Wärter wegen dieses Sträflings gewaltig unter Druck, und die machten sich deshalb sicher ihre Gedanken. Und der Aufseher dachte natürlich nicht daran, ihnen seine Motive zu erklären.
So hatten alle gute Gründe, reizbar zu sein, und Garth fröstelte abermals, als er sich vorstellte, wie sich das auswirken würde, wenn die Wärter Maximilian tatsächlich fänden.
Joseph hatte einen flotten Trab angeschlagen. Am liebsten hätte er seinem Pferd unentwegt die Fersen in die Flanken gedrückt, um die Adern so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, aber damit hätte er nur unerwünschte Aufmerksamkeit erregt. Er sah zu seinem Sohn hinüber und lächelte. »Schau, da vorn stehen schon die ersten Häuser von Myrna. So weit ist alles gut verlaufen.«
In der Stadt ging es ebenso hoch her wie auf dem Bergwerksgelände. Wärter streiften zu dritt oder zu fünft durch die Straßen, überall standen aufgeregte Menschen beisammen und ergingen sich in allerlei Vermutungen über den Sträflingsausbruch. Wie die Wärter fragten sich viele, warum man gerade diesen Gefangenen mit so unerhörtem Aufwand verfolgte… und wie es ihm überhaupt gelungen sein mochte, aus den Adern zu entkommen.
Zahlreiche Gerüchte machten die Runde. Am häufigsten war zu hören, einer der Wärter habe dem Mann zur Flucht verholfen. Wie sonst hätte er so spurlos verschwinden können?
Joseph und Garth zogen hin und wieder neugierige Blicke auf sich, aber niemand starrte sie auffallend lange an – worüber sie herzlich froh waren. Als sie in die Hauptstraße einbogen, deutete Joseph an der ersten Kreuzung mit dem Kopf auf ein dreistöckiges Haus. Die Balkone waren mit bunten Wimpeln geschmückt – ein ungewöhnlicher Anblick in der sonst so grauen Stadt –, und die Fenster waren diskret mit Spitzengardinen verhängt. Auf der Veranda standen bunt gekleidete und stark geschminkte Frauen mit üppigen Lockenfrisuren und Bändern im Haar.
Eine von ihnen, eine besonders keck wirkende Blondine, sprach Joseph an, als sie vorbeiritten. »Schon so früh auf den Beinen, Heiler Baxtor? Hattet Ihr heute morgen nicht noch einiges an Schlaf nachzuholen?«
Joseph grinste gequält. Auf der Straße drehten sich die Leute um – darunter auch einige Wärter. »Mein Sohn und ich wollten zeitig aufbrechen, Erla. Wir haben einen weiten Weg vor uns.«
»Das kann man wohl sagen«, nickte Erla, und ihre Stimme wurde etwas weicher. »Das kann man wohl sagen.« Sie sah Joseph einen Augenblick lang fest in die Augen, dann wandte sie sich betont gleichgültig einer ihrer Gefährtinnen zu und plauderte mit ihr.
»Wohin des Wegs, Baxtor?«
Eine Gruppe von Wärtern war durch das kurze Gespräch aufmerksam geworden und versperrte ihnen den Weg. Joseph und Garth zügelten hastig ihre Pferde.
»Nach Ruen«, antwortete Joseph prompt. »Wir haben ein Schreiben des Königs… wollt Ihr es sehen?« Er griff in
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