Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
denkt dran – wenn Gott euch in die Öfen steckt, dann AUF EWIG!«
Die Fixierung auf Kinder und die strikte Überwachung ihrer Erziehung gehört zu jedem System absoluter Autorität. Es könnte ein Jesuit gewesen sein, der als Erster sagte: »Gib mir das Kind, bis es zehn ist, und ich werde dir den Mann geben«, doch die Idee ist sehr viel älter als die Schule des Ignatius von Loyola. Wie wir vom Schicksal vieler säkularer Ideologien wissen, geht die Manipulation von Kindern oft nach hinten los, doch dieses Risiko gehen die Vertreter der Religionen offenbar ein, um den durchschnittlichen Jungen oder das durchschnittliche Mädchen mit ausreichend Propaganda zu impfen. Was haben sie auch sonst für eine Chance? Wenn die religiöse Unterweisung erst in einem Alter zugelassen wäre, in dem Kinder selbstständig denken können, lebten wir in einer völlig anderen Welt. Gläubige Eltern sind da geteilter Ansicht, weil sie das Mysterium und die Freude des Weihnachtsfestes und anderer kirchlicher Feiertage natürlich gern gemeinsam mit ihrem Nachwuchs erleben möchten – und nebenbei Gott, den Nikolaus und andere Figuren gut gebrauchen können, um ihre unartigen Kinder im Zaum zu halten. Wenn sich ein Kind oder auch ein junger Erwachsener zu einem anderen Glauben, geschweige denn einem anderen Kult verirrt, behaupten Eltern jedoch gern, die Unschuld ihres Kindes sei ausgenutzt worden. In allen monotheistischen Religionen wurde oder wird aus ebendiesem Grunde die Apostasie streng verboten. In ihrem autobiografischen Buch Eine katholische Kindheit erzählt Mary McCarthy, was für ein Schock es für sie war, als sie von einem Jesuitenprediger erfuhr, dass ihr protestantischer Großvater – der gleichzeitig ihr Vormund und Freund war – zum ewigen Höllenfeuer verdammt sei, weil er die falsche Taufe erhalten hatte. Das intelligente, aber altkluge Kind gab keine Ruhe, bis die Mutter Oberin bei höheren Stellen in der Sache nachforschte. So entdeckte sie schließlich in den Schriften des Bischofs Athanasius ein Hintertürchen. Athanasius vertrat die Ansicht, dass Ketzer nur verdammt seien, wenn sie die wahre Kirche wider besseres Wissen ablehnten – und ihr Großvater konnte ja über die wahre Kirche so wenig wissen, dass er der Hölle vielleicht doch noch entkam. [FUSSNOTE56]
Aber welche Qualen wurden da einem elfjährigen Mädchen auferlegt! Und wie viele weniger hartnäckige Kinder schluckten solche niederträchtigen Lehren, ohne sie zu hinterfragen. Wer Kinder solcherart anlügt, ist in höchstem Maße bösartig.
Zwei Beispiele, eines für eine unmoralische Lehre, das andere für einen unmoralischen Brauch, seien noch angefügt. Die unmoralische Lehre betrifft die Abtreibung. Als Materialist halte ich es für bewiesen, dass ein Embryo ein eigener Körper und ein eigenständiges Wesen ist und nicht, wie es früher bisweilen hieß, ein Auswuchs des weiblichen Körpers. Einige Feministinnen betrachteten den Embryo ja als einen Anhang oder sogar – auch das wurde ernsthaft behauptet – einen Tumor. Solchen Unsinn hört man heute nicht mehr. Das liegt zum einen an den faszinierenden und bewegenden Ultraschallbildern und zum anderen daran, dass schon federleichte »Frühchen« außerhalb des Mutterleibs überlebensfähig sind. Auch in diesem Bereich kann die Wissenschaft mit dem Humanismus an einem Strang ziehen. Lässt der Anblick einer Frau, der in den Bauch getreten wird, keinen Menschen mit durchschnittlichem moralischem Empfinden kalt, so wächst die Empörung, wenn die betreffende Frau schwanger ist. Die Embryoforschung untermauert die Moral. Die Bezeichnung »ungeborenes Kind« beschreibt sogar im politischen Kontext eine materielle Realität.
Damit aber wird der Streit um die Abtreibung nicht entschieden, im Gegenteil. Es gibt sicher viele Umstände, unter denen es nicht erstrebenswert ist, einen Fötus auszutragen. Auch die Natur oder Gott erkennen dies wohl, denn eine sehr große Zahl von Schwangerschaften wird aufgrund von Missbildungen sozusagen »abgetrieben«; man umschreibt das mit dem freundlicheren Wort Fehlgeburt. Eine solche Fehlgeburt ist zwar traurig, wahrscheinlich aber besser als die große Zahl missgebildeter oder geistig behinderter Kinder, die andernfalls auf die Welt kämen – die einen tot, andere mit einem nur kurzen Leben, das für sie selbst und andere eine Qual wäre. In utero können wir einen Mikrokosmos der Natur und der Evolution beobachten. Wir beginnen unser Leben als winzige
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