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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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amphibische Körper, ehe sich nach und nach Lunge und Gehirn entwickeln, uns das mittlerweile nutzlose Fellkleid wächst und wieder ausfällt und wir nach einem alles andere als einfachen Übergang den Weg nach draußen finden und Luft atmen. Das System ist entsprechend unbarmherzig, indem es diejenigen, die keine gute Überlebenschance haben, in einem frühen Stadium eliminiert. Unsere Vorfahren in der afrikanischen Savanne hätten auch nicht überlebt, wenn sie eine Vielzahl kränklicher Kinder gegen Raubtiere hätten verteidigen müssen. Die Analogie, die sich hier aufdrängt, ist nicht etwa Adam Smiths »unsichtbare Hand« – diesem Begriff misstraue ich schon seit jeher –, sondern Joseph Schumpeters Modell der »Schöpferischen Zerstörung«, nach der wir uns an ein gewisses Maß an natürlichen Fehlschlägen gewöhnen, die sich aus der Erbarmungslosigkeit der Natur ergeben und bis zu den entfernten Prototypen unserer Spezies zurückreichen. [FUSSNOTE57]

    Nicht jede Empfängnis führt also zu einer Geburt. Und seit wir nicht mehr nur ums bloße Überleben kämpfen, trachtet unsere intelligente Spezies danach, die Reproduktionsrate unter Kontrolle bekommen. Familien, die der Natur und deren Streben nach einer reichen Nachkommenschaft ausgeliefert sind, sind in einen Kreislauf gebunden, der dem der Tiere entspricht. Am besten gelingt diese Kontrolle durch Prophylaxe, nach der seit jeher fieberhaft geforscht wurde, wie schon frühste Aufzeichnungen dokumentieren. Heute ist sie relativ narrensicher und schmerzlos anzuwenden. Die zweitbeste Lösung, die manchmal aus anderen Gründen zur Anwendung kommt, ist der Schwangerschaftsabbruch, den sogar viele Frauen, die ihn aus schierer Not durchführen, hinterher bereuen. Jedem denkenden Menschen leuchtet ein, wie schwer in dieser Sache die Abwägung von Rechten und Interessen ist. Das Einzige, was hier überhaupt nicht weiterhilft, sei es moralisch oder praktisch, ist die an den Haaren herbeigezogene Behauptung, Spermien und Eizellen seien potenzielle Lebewesen, deren Verschmelzung nicht verhindert werden dürfe, da sie schon kurz nach der Vereinigung eine Seele hätten und eines gesetzlichen Schutzes bedürften. Dieser Argumentation zufolge handelte es sich beim Intrauterinpessar, das die Einnistung eines Eis in der Gebärmutter verhindert, um ein Mordinstrument, und das Ei, das sich im ungünstigen Falle einer Eileiterschwangerschaft im Eileiter entwickelt, wäre nicht etwa eine dem Untergang geweihte Anomalie, die auch das Leben der Mutter akut gefährdet, sondern menschliches Leben.
    Jeder Schritt zur Klärung dieser Sachfrage wurde von der Geistlichkeit in Bausch und Bogen verworfen. Schon der Versuch, die Menschen über die Möglichkeit der »Familienplanung« aufzuklären, wurde von Anfang an scharf verurteilt, und die ersten Befürworter (etwa John Stuart Mill) wurden verhaftet, ins Gefängnis geworfen oder um ihre Anstellung gebracht. Noch vor wenigen Jahren verunglimpfte Mutter Teresa die Verhütung als moralisches Äquivalent zur Abtreibung, was – da sie die Abtreibung als Mord betrachtet – dieser »Logik« nach das Kondom oder die Pille zu Mordwaffen macht. Damit war Mutter Teresa noch fanatischer als ihre Kirche, was einmal mehr belegt, dass dogmatischer Eifer der moralische Gegner des Guten ist, denn er fordert von uns, das Unmögliche zu glauben und das nicht Machbare zu tun. So wurde das Engagement für den Schutz des ungeborenen Lebens und für das Leben schlechthin von Fanatikern, die ungeborene und geborene Kinder zu bloßen Manipulationsobjekten ihrer Doktrin degradieren, an die Wand gefahren.
    Im Bereich der unmoralischen Bräuche gibt es wohl kaum etwas so Bizarres wie die Genitalverstümmelung bei Kindern. Sie lässt sich zudem besonders schwer mit dem teleologischen Gottesbeweis vereinbaren. Es ist doch anzunehmen, dass ein gestaltender Gott den Fortpflanzungsorganen seiner Geschöpfe besondere Aufmerksamkeit schenken würde, sind sie doch wesentlich für den Fortbestand der Spezies. Doch seit Beginn der Zeit wurden im Zuge religiöser Rituale Kinder aus der Wiege gezerrt und im Schambereich mit scharfen Steinen oder Messern traktiert. In einigen animistischen und muslimischen Gesellschaften ist das Leid der kleinen Mädchen am größten, denn ihnen werden die Schamlippen und die Klitoris beschnitten. Manchmal wird dieser Brauch bis in die Pubertät aufgeschoben und, wie bereits erwähnt, gleich eine Infibulation durchgeführt, oder die

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