Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
warmen. Zweitens erkennen Archäologen alte jüdische Siedlungen im Land Kanaan daran, dass im Abfall keine Schweineknochen zu finden sind, ganz im Gegensatz zu anderen Siedlungen, wo es solche Knochen gibt. Die Nichtjuden erkrankten oder starben also nicht etwa nach dem Verzehr von Schweinefleisch; andernfalls hätte – das nebenbei bemerkt – der Gott des Alten Testaments ja auch keine Veranlassung gehabt, die Nichtschweinefleischesser zu ihrer Ermordung zu drängen.
Es muss also eine andere Lösung zu diesem Rätsel geben. Ich beanspruche für meine eine gewisse Originalität, wäre allerdings ohne die Hilfe von Sir James Frazer und dem großen Ibn Warrak wohl nicht darauf gekommen. Vielen alten Zeugnissen zufolge war die Einstellung der frühen Semiten zum Schwein ebenso von Verehrung wie von Abscheu geprägt. Der Verzehr von Schweinefleisch galt als etwas Besonderes, ja, als Privileg und Ritual – eine unsinnige Vermengung des Heiligen mit dem Profanen, die sich zu allen Zeiten in allen Religionen findet. Dass der Mensch sich zum Schwein hingezogen und von ihm abgestoßen fühlte, hatte einen anthropomorphen Ursprung: Das Aussehen des Schweins, der Geschmack des Schweins, die Todesschreie des Schweins und die offensichtliche Intelligenz des Schweins erinnerten allzu unangenehm an den Menschen. Die Porcophobie – und die Porcophilie – hat demnach wahrscheinlich ihren Ursprung in der düsteren Zeit der Menschenopfer und sogar des Kannibalismus, auf den die »heiligen« Texte verschiedentlich recht deutlich hinweisen. Alles Erdenkliche – von der Homosexualität bis hin zur Inzucht – wird nur dann unter Strafe gestellt, wenn diejenigen, die das Verbot aussprechen (und die grausamen Strafen festlegen), den unterdrückten Wunsch verspüren, es selbst auszuprobieren. In Shakespeares König Lear heißt es, der Polizist, der die Hure auspeitsche, wolle am liebsten eben das mit ihr tun, wofür er sie bestrafe.
Auch Porcophilie kann im Dienste von Unterdrückung und Verdrängung stehen. Im mittelalterlichen Spanien, wo Juden und Muslime unter Androhung von Folter und Tod gezwungen wurden, zum Christentum zu konvertieren, vermutete die Kirchenführung zu Recht, dass viele der Übertritte nicht von Herzen kamen. Tatsächlich war die Inquisition zum Teil der Furcht der Kirche geschuldet, dass Ungläubige an der Messe teilnehmen könnten, wo sie natürlich, und das war noch abscheulicher, Menschenfleisch und Menschenblut zu sich zu nehmen vorgaben, das Jesu Christi nämlich. Aus dieser Furcht erwuchs unter anderem der Brauch, zu den meisten formalen und informellen Anlässen eine Wurstplatte zu reichen. Wer schon das Glück hatte, Spanien zu bereisen oder in einem guten spanischen Restaurant zu essen, wird mit dieser Geste der Gastfreundschaft wohl vertraut sein. Die Platte umfasst Dutzende verschiedener Sorten Schweinswurst unterschiedlichster Form. Ihren grausigen Ursprung hat diese Sitte indes in der ständigen Suche nach Ketzern, nach einer verräterischen Geste der Abneigung gegen Schweinefleisch. In den Händen eifernder christlicher Fanatiker wurde selbst der köstliche »jamón ibérico« zu einer Art Folterinstrument.
Heute hat uns die Dummheit von anno dazumal wieder eingeholt. In Europa fordern muslimische Eiferer, man müsse unschuldige Kinder vor den Drei Schweinchen , Miss Piggy, Ferkel aus Pu der Bär und anderen beliebten Tierhelden bewahren. Die verbissenen Kämpfer des Dschihad sind wahrscheinlich nicht belesen genug, um von Wodehouse und dem Schwein des Earl of Emsworth, der »Kaiserin von Blandings«, gehört zu haben oder dem von ihm verehrten Handbuch der Schweinehaltung aus der Feder des unvergleichlichen Mr. Whiffle. Sollten sie eines Tages darauf stoßen, ist Ärger vorprogrammiert. Eine alte Wildschweinstatue in einem Arboretum in Mittelengland war bereits vom hirnlosen islamischen Vandalismus bedroht.
Diese scheinbar triviale Hysterie zeigt im Kleinen, wie Religion, Glaube und Aberglaube unser Weltbild völlig verzerren. Das Schwein ist so eng mit uns verwandt und in vielerlei Hinsicht so nützlich, dass sich Humanisten heutzutage dafür aussprechen, es nicht mehr industriell zu halten, eingepfercht, von seinen Jungen getrennt und dazu verdammt, in seinem eigenen Kot zu hausen. Ungeachtet des bereits Gesagten hat das rosafarbene und leicht schwammige Fleisch aus dieser Massenhaltung ja auch wirklich etwas Abstoßendes. Doch wie jede Entscheidung, die wir über Lebewesen und erst recht
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