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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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über nahe Verwandte fällen, sollten wir auch diese im klaren Licht des Verstandes und des Mitgefühls treffen, statt uns von Zauberformeln aus der Eisenzeit leiten zu lassen, an deren Lagerfeuern noch erheblich schlimmere Verbrechen im Namen Gottes begangen wurden. »Schweinskopf auf einem Stock«, sagt Simon in Goldings Herr der Fliegen , als er vor dem verrottenden, vor Fliegen summenden Götzen – erst erlegt, dann verehrt – steht, den die grausamen und verängstigten Schuljungen aufgestellt haben. »Schweinskopf auf einem Stock.« [FUSSNOTE9]

    Und damit lag er der Wahrheit näher, als er ahnte, und war schlauer als die Erwachsenen oder seine kriminellen Altersgenossen.

Kapitel vier:

Eine Anmerkung zur Gesundheit und ihre Gefährdung durch die Religion

In dunkeln Zeiten wurden die Völker am besten durch die Religion geleitet, wie in stockfinstrer Nacht ein Blinder unser bester Wegweiser ist; er kennt dann Wege und Stege besser als ein Sehender – Es ist aber töricht, sobald es Tag ist, noch immer die alten Blinden als Wegweiser zu gebrauchen.
    Heinrich Heine, Aphorismen und Fragmente

    Im Herbst 2001 besuchte ich die indische Stadt Kalkutta mit dem genialen brasilianischen Fotografen Sebastiao Saigado, der auf seinen Fotografien das Leben der Migrantinnen, Kriegsopfer und der Arbeiter festhält, die mühevoll Rohstoffe aus Minen, Bergwerken und Wäldern gewinnen. Nun war er als UNICEF-Botschafter unterwegs und warb für seinen persönlichen Kreuzzug – im positiven Wortsinn – gegen die Geißel der Kinderlähmung. Der Arbeit engagierter und aufgeklärter Wissenschaftler wie Jonas Salk ist es zu verdanken, dass man heute mit minimalem Kostenaufwand Kinder gegen diese entsetzliche Krankheit impfen kann; es kostet nur ein paar Cent, einem Kind zwei Tropfen des flüssigen Polio-Impfstoffes zu verabreichen. Der medizinische Fortschritt hatte bereits die Schreckensherrschaft der Pocken beendet, und man ging zuversichtlich davon aus, dass es nur noch ein Jahr dauern würde, bis auch die Kinderlähmung besiegt war. Die ganze Menschheit hatte sich, so schien es, gemeinsam dieser Aufgabe verschrieben. In El Salvador und mehreren anderen Ländern hatten die Kriegsparteien eine Waffenruhe ausgerufen, damit sich die Impfteams frei bewegen konnten. Bettelarme und rückständige Länder hatten ihr letztes Geld zusammengekratzt, um die gute Nachricht bis ins abgelegenste Dorf zu bringen: Die entsetzliche Krankheit wird kein Kind mehr dahinraffen oder zu einem untätigen und siechen Leben verdammen. In Washington, wo sich in jenem Jahr viele Menschen, traumatisiert vom 11. September, ängstlich in ihren vier Wänden einbunkerten, ging meine jüngste Tochter an Halloween unerschrocken von Tür zu Tür, zwitscherte »Süßes oder Saures für UNICEF« und rettete mit jeder Handvoll Kleingeld Kinder, denen sie nie begegnen würde. Man bekam dieses erlesene Gefühl, sich für eine durch und durch gute Sache einzusetzen.
    Auch die Menschen von Bengalen, besonders die Frauen, stürzten sich mit Enthusiasmus und Einfallsreichtum in die Aktion. Ich erinnere mich noch an eine Ausschusssitzung, in der streitbare Hostessen aus Kalkutta bar aller Berührungsängste planten, sich mit den Prostituierten der Stadt zusammenzutun, um die Botschaft bis in die letzten Winkel der Gesellschaft zu tragen: Bringt eure Kinder – keiner stellt Fragen – und lasst sie die Tropfen schlucken. Jemand hatte gehört, dass es ein paar Kilometer vor der Stadt einen Elefanten gab, den man mieten und zu Werbezwecken durch die Straßen führen konnte. Die Aussichten waren gut: Es sollte einen Neuanfang geben in einer der ärmsten Städte und Nationen der Welt. Doch dann kam uns zu Ohren, dass in einigen abgelegenen Dörfern muslimische Hardliner das Gerücht streuten, die Tropfen seien Teil einer Intrige. Wer die böse Medizin aus dem Westen einnehme, werde von Impotenz und Durchfall heimgesucht – eine wahrlich abstoßende und deprimierende Kombination.
    Das war ein echtes Problem, denn der Impfstoff muss zweimal verabreicht werden – das zweite Mal zur Auffrischung und Verstärkung der Immunwirkung. Wenn nur wenige Menschen ungeimpft bleiben, kann die Krankheit wieder ausbrechen und sich durch Körperkontakt und über die Wasserversorgung ausbreiten. Wie die Pocken muss auch die Kinderlähmung vollständig ausgerottet werden. Als ich Kalkutta verließ, fragte ich mich, ob der Termin in Westbengalen zu halten und das Land bis zum Ende des folgenden

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